Ethiker über den Impfzwang«Eine solche moralische Aufladung der Gesellschaft ist hochgefährlich»
Über die Frage, ob die Corona-Impfung obligatorisch sein soll, ist eine grosse Debatte entbrannt. Andreas Brenner, Professor für Philosophie, sieht darin auch grosse Gefahren für die Zukunft.

Herr Brenner, es wird gerade stark darüber diskutiert, in Bezug auf die Corona-Impfung eine Impfpflicht einzuführen. Wie ist das einzuordnen?
Vorneweg muss man sagen, dass es in der ganzen Corona-Debatte, die wir nun seit rund eineinhalb Jahren führen, begriffliche Unschärfen gibt. Wir sollten hier nicht von einer Impfpflicht sprechen, sondern von einem Impfzwang. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Der Begriff Zwang ist natürlich abschreckender, da läuten die Alarmglocken. Weil die Politik das wohl vermeiden will, benutzt sie den Begriff der Pflicht. Das ist falsch. Wer zwingen will, und das ist mit dem Impfzwang beabsichtigt, muss dies auch so benennen. Der Unterschied von Pflicht und Zwang ist dabei der, dass eine Pflicht Ausdruck einer individuellen, persönlichen Entscheidung ist, die der Handelnde dann auch ethisch verantworten muss. Wer gezwungen wird, der ist aus der Verantwortung genommen. Solche Begriffsverwirrungen sind verheerend. Dadurch kann unser moralisches Zusammenleben, auch über Corona hinaus, grossen Schaden erleiden, weil wir hier unsere ethischen Kernbegriffe verändern oder demontieren.