
Kaum hatte die Schwedische Akademie letzte Woche den österreichischen Schriftsteller Peter Handke zum Nobelpreisträger erkoren, brach ein Proteststurm los. Handke sei ein «Völkermordapologet», so stand es in der «New York Times». Und anderswo: Er sei ein Wahrheitsverdreher, Genozid-Leugner, ein Verharmloser serbischer Kriegsgräuel. Was war passiert?
Zur Vorgeschichte: Für den als Kriegsverbrecher angeklagten Slobodan Milosevic, zuletzt Staatspräsident von Jugoslawien, hielt Handke 2006 eine Grabrede. In seinem Essay «Gerechtigkeit für Serbien», 1996 erschienen, hatte Handke die Berichterstattung über den Balkankrieg als einseitig serbienfeindlich angeprangert.
Kein Nachäffer
Im Gegensatz zu den Medienleuten hatte Handke, Sohn einer Kärntner Slowenin, Serbien während der Kriegsjahre persönlich bereist. Er lernte die Landschaften, Menschen und ihren Alltag zu würdigen. Im politischen Klima pauschaler Serbien-Feindlichkeit wechselte Handke die Perspektive; er berichtete von der Gegenseite, den Serben, quasi zum Ausgleich. Wer nur die «Empörungslippenbewegungen» der veröffentlichten Meinung nachäfft, ist weder ernsthafter Dichter noch Denker.
Gegen oberflächliche «Lippengebete» wandte sich auch Martin Walser, als er 1998 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Er nahm seine Dankesrede zum Anlass, um über Auschwitz zu sprechen. Er kritisierte die «Instrumentalisierung» von Auschwitz für fremde Zwecke: für oberflächliche Selbstdarsteller, die sich mit Moral schmücken wollen; für Politiker, die den Gegner qua «Auschwitz-Keule» in die Nazi-Ecke stellen wollen.
Umgehend wurde Walser selber bezichtigt, ein Antisemit zu sein. So, wie Botho Strauss wegen seines mythenseligen, linkenfeindlichen Essays «Anschwellender Bocksgesang» (1993) für den neuen Rechtsnationalismus verantwortlich gemacht wird. So, wie Peter Handke als Apologet des Völkermords bezeichnet wird.
Revolution fürs Theater
Und was sagen die Bücher von Peter Handke zur Nobelpreis-Debatte? Lest uns! Kein zweiter deutschsprachiger Gegenwartsautor hat derart Eigenständiges in allen Gattungen geleistet. Seine Stücke haben das Theater revolutioniert, seine Prosa schuf den Link zu Film und Popkultur, seine Romane haben eine neue Innerlichkeit und Naturliebe eingeläutet, seine Drehbücher waren Grundlage wunderbarer Filme, und nebenher förderte er unbekannte Kollegen im In- und Ausland.
Handkes Lebensleistung ist unbestreitbar, wissen seine Bücher. Und wünschen sich sehnlich, dass zur Abwechslung auch mal über ihre künstlerische Qualität berichtet wird. Das allerdings wäre anstrengend. Es ist allemal leichter, eine politische Haltung zu verurteilen, als über Kunst zu urteilen.
Dümmliches Denken in der Süddeutschen
Das Dümmlichste in Sachen Journalismus hat sich jetzt die «Süddeutsche Zeitung» angetan. Als sei die «Süddeutsche» nicht die beste, sondern nur die erstbeste aller deutschen Tageszeitungen, lieferte die Wochenendausgabe eine Stilkritik am Outfit von Handke. Das geht dann so: Handkes «nostalgischer Intellektuellen-Look» sei «wie aus dem Manufaktum-Katalog»; die Blumen am Revers seien ein «untrüglicher Hinweis auf poetische Superempfindsamkeit». Überschrift: «Der Künstler als alter Mann».
Da sage noch jemand, nur weibliche Autoren würden wegen ihres Aussehens kritisiert. Jetzt sind auch die Herren dran. Nicht aus Gründen der Gleichberechtigung, sondern weil inzwischen alles rausgehauen wird, was einem Journalisten so durch die Birne braust.
Lest uns, sagen Handkes Bücher. Hier und in Zeitungen verurteilte der Schriftsteller das Massaker von Srebrenica als «das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg begangen wurde». Handke hat die Opfer serbischer Soldaten keineswegs vergessen, wie ihm unterstellt wird. Zugleich jedoch war er gegen eine Vorverurteilung von Slobodan Milosevic. Und gegen pauschale Ächtung aller Serben. «Kriegshunde», sagt er, gibt es auf allen Seiten.
Populismus statt Differenzierung
Handke sympathisiert mit Kriegsverbrechern, Martin Walser mit Antisemiten und Botho Strauss mit Rechtsradikalen? Solches kann nur behaupten, wer keine Differenzierungen erträgt. Dichter sind keine Parteistrategen. Dichter sind Verwandler, sie sind ambivalent. Einzelne Zitate, aus dem Zusammenhang gerissen, sind immer anschlussfähig an die neue Rechte, das Gesamtwerk nicht.
Der Poet Handke hat sich zweifellos im Jugoslawien-Krieg vergaloppiert – aber auch immer wieder korrigiert. Wahre Schriftsteller sind Abseitige, Sonderlinge, meinetwegen auch politisch dubiose Eigenbrötler. Ihre Stärke ist, Untergründiges zu erfühlen. Ihre Gefühlsschärfe ist dabei manchmal wie ein offenes Messer, in das sie selber hineinrennen.
Lest uns, sagen die Bücher. Ins Verhältnis zu 200 hochrangigen Werken gesetzt, sind Handkes literarische Einlassungen zum Balkankrieg, nun ja, Marginalien. Verhältnismässigkeit ist ein hilfreicher Rechtsgrundsatz für Urteile jeder Art.
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Dümmliches Hexentreiben gegen Nobelpreisträger Peter Handke
Eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller, der nicht in den Chor der pauschalen Serbenfeindlichkeit einstimmte, findet nicht statt.