
Nächsten Sonntag landet Präsident Xi Jinping in der Schweiz, zum ersten chinesischen Staatsbesuch seit 1999. Vorgesehen ist ein Galadiner, vorgesehen sind Arbeitsgespräche, vorgesehen sind Proteste von Menschenrechtsorganisationen. Nicht vorgesehen sind die protokollarischen Fehler von damals. Sie wissen schon. Der legendäre Besuch des damaligen Präsidenten Jiang Zemin 1999. Als die zweitägige Reise des Chinesen eine mittlere Staatskrise auslöste. «Sie haben einen guten Freund verloren», sagte der erboste Zemin Bundespräsidentin Ruth Dreifuss, die zuvor vielleicht einmal zu oft die Situation der Menschenrechte in China angesprochen hatte.

Man liest das dieser Tage öfters, ja man liest es eigentlich immer, wenn es um die Beziehungen der Schweiz mit China geht. Was man leider viel zu selten liest, ist die Schilderung des einen Helden dieses Tages (neben Dreifuss natürlich: Man muss auch zuerst mal den Magen haben, den chinesischen Präsidenten bei einem Staatsbesuch andauernd mit Menschenrechten zu belästigen).
Als wäre es gestern
Anruf in Kandersteg. «Warten Sie, ich muss das Langlauf-Rennen leiser stellen.» Dann ist Adolf Ogi parat. Ohne Zögern, ohne Vorlaufzeit, schildert der damalige Verteidigungsminister und Vizebundespräsident den Besuch der Chinesen (ja, als wäre es gestern gewesen). Ruth Dreifuss holt den chinesischen Präsidenten in Genf ab und fährt ihn mit dem Zug nach Bern. «Doch statt die Seen und die Berge zu rühmen, redet meine liebe Kollegin Ruth über die Menschenrechte.» Zemins Laune: bescheiden. Und da hat er noch keinen einzigen tibetischen Demonstranten gesehen.
Die kommen erst in Bern dazu, stehen auf dem Bundesplatz und dem Dach der UBS, und der Präsident verschanzt sich. So wird er die Ehrengarde nicht abnehmen, so kommt er überhaupt gar nicht. Der Kompromiss ist eine gepanzerte Limousine. Vollgas vors Bundeshaus, Vollgas ins Bundeshaus. Es folgt der Austausch der erwähnten Nettigkeiten. «Madame, sie sind nicht fähig, dieses Land zu regieren», sagt der Präsident an die Adresse von Dreifuss. Dann sagt lange niemand mehr etwas, die Arbeitsgespräche werden abgesagt. «Es war dann an mir, eine Cooling-down-Phase abzuhalten», erzählt Ogi. Weil er den opulentesten Raum aller Bundesräte zur Verfügung hat und weil er erst kurz vor dem Besuch China besucht hatte. Am Schluss lächelt der Chinese wieder, das Schlimmste scheint abgewendet.
Doch das ist vor dem Galadiner. Jiang Zemin wird um die ewig lange Tafel im Berner Rathaus an den falschen Platz geführt. «Der Präsident hat geschäumt, er war wie ein Vulkan. In seiner Heimat würde ein solcher Mitarbeiter sofort entlassen, meinte er», berichtet Ogi.
«You are not leaving!»
Ruth Dreifuss beginnt ihre Rede, es sei erneut um Menschenrechte gegangen, sagt Ogi (da widersprechen sich die Quellen), und jetzt ist es dem Chinesen zu viel. Er steht schon halb, «I'm leaving!», Ogi schnellt herum, drückt den Präsidenten mit zwei Armen auf seinen Sitz zurück, «You are not leaving!» Natürlich wisse er, dass man einen Chinesen nicht so abrupt anfassen dürfe. «Aber stellen Sie sich die Katastrophe vor, wenn der tatsächlich gegangen wäre!» Der Präsident verlangt Stift und Papier, nimmt den Bleistift von Ogi in die Faust und zeichnet – kein Witz – eine chinesische Blume. Ogi wiederum langt in seine linke Hosentasche, wo er seit Jahren einen kleinen Bergkristall mit sich herumträgt. Es folgt die Bergkristall-Rede, die viele Staatsführer von Adolf Ogi aus Kandersteg hören durften. Der chinesische Präsident wird immer ruhiger. Kristall wechselt Besitzer, Tag gerettet.
Irgendwo im Bundeshaus wird es sicher noch irgendwo einen alten Ogi-Kristall geben. Vielleicht sollten ihn Bundespräsidentin Doris Leuthard besser einpacken. Man weiss ja nie.
Diplomatie by Adolf Ogi
Wenn der chinesische Präsident nach Bern kommt, sollte besser jemand einen Bergkristall im Sack haben. Ein Rückblick.