«Dieser Ansatz ist fremdenfeindlich»
Was der Bundesrat von der Ecopop-Initiative hält, machte Justizministerin Simonetta Sommaruga heute klar. Und sie wählte deutliche Worte.

Am 30. November stimmen Volk und Stände erneut über eine Volksinitiative zur Zuwanderung ab. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat am Dienstag vor den Medien dargelegt, weshalb der Bundesrat die Ecopop-Initiative ablehnt.
Die Initiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» verlangt, dass die Zuwanderung auf 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung beschränkt wird. Gleichzeitig sollen mindestens 10 Prozent der Entwicklungshilfegelder für freiwillige Familienplanung eingesetzt werden. Erklärtes Ziel ist der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.
Noch ein Viertel der Nettozuwanderung
Aus Sicht des Bundesrates löst die Initiative jedoch kein einziges Umweltproblem. Eine Annahme hätte aber schädliche Folgen für die Schweizer Wirtschaft und würde die aktuellen Bemühungen des Bundesrates unterlaufen, gute und stabile Beziehungen zur EU zu erhalten.
Mit einer Begrenzung der Zuwanderung gemäss Initiativtext könnten pro Jahr nicht einmal 17'000 Personen zuwandern, sagte Sommaruga. Dies entspreche einem Viertel der jährlichen Nettozuwanderung in den letzten Jahren. Selbst wenn das inländische Arbeitskräftepotenzial vollständig ausgeschöpft würde, könnten bei einer so drastischen Reduktion die Löcher nicht gestopft werden.
«Ob gewollt oder nicht»
Die Initiative sei aber auch «ökologisch unlogisch», sagte Sommaruga. «Umweltprobleme löst man nicht mit einer Begrenzung der Zuwanderung.» Der Umwelt nütze es nämlich nichts, wenn jemand in einem Nachbarland statt in der Schweiz Energie verbrauche und Abfall produziere. Wer etwas für die Umwelt tun wolle, müsse den Pro-Kopf-Verbrauch von Wasser, Boden oder Energie senken.
Sommaruga warf den Initianten ausdrücklich Fremdenfeindlichkeit vor. Die Initiative behandle Menschen als Problem, das bekämpft werde müsse. «Ob gewollt oder nicht, dieser Ansatz ist fremdenfeindlich», sagte die Justizministerin.
Arbeiten in Gang
Auf die Frage, wie sie die Chancen des Volksbegehrens an der Urne einschätze, sagte Sommaruga, der Bundesrat nehme jede Abstimmung ernst. Zu Beginn ihrer Ausführungen hatte sie auf das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar Bezug genommen.
Die Ecopop-Abstimmung falle mitten in eine Phase, in welcher noch vieles im Fluss sei, stellte sie fest. Die Arbeiten zur Umsetzung liefen. Der Bundesrat arbeite an einem Gesetz und wolle parallel dazu mit der EU Verhandlungen über eine Änderung des Personenfreizügigkeitsabkommens führen. Ein Ja zur Ecopop-Initiative würde die Arbeiten und eine Lösung mit der EU massiv erschweren.
Inländisches Potenzial nutzen
Zu den Details der laufenden Arbeiten liess sich Sommaruga nicht in die Karten blicken. Auch nahm sie keine Stellung zu jüngst in den Medien thematisierten Optionen. Man könne davon ausgehen, dass der Bundesrat sämtliche Möglichkeiten diskutiert habe, versicherte sie. Und: Der Bundesrat wolle umsetzen, was in der Verfassung stehe.
Weiter bekräftigte Sommaruga, dass nach dem Ja vom 9. Februar das inländische Arbeitskräftepotenzial besser genutzt werden müsse. Der Bundesrat wolle die Wirtschaft und die Kantone zu mehr Engagement verpflichten. Er allein könne es aber nicht richten.
Umfassende Entwicklungshilfe
Der Bundesrat lehnt nicht nur eine fixe Obergrenze für die Zuwanderung ab, sondern auch die von der Ecopop-Initiative geforderte Änderung der Entwicklungshilfe. Die langjährige Erfahrung zeige, dass isolierte Massnahmen nicht wirkungsvoll seien, argumentiert er.
Deshalb verfolge die Schweiz bei der Entwicklungszusammenarbeit einen umfassenden Ansatz, auch im Hinblick auf die Familienplanung. Sie fördere die Gesundheit, Bildung und Selbstbestimmung von Frauen, mit dem Ziel, dass diese selbst entscheiden könnten, ob, wann und wie oft sie Kinder haben wollten.
Auch Gewerkschaften dagegen
Die Ecopop-Initiative ist aus Sicht der Gewerkschaften und Angestelltenverbände gefährlich und unmenschlich. Sie würde den Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen erhöhen und zu neuen Diskriminierungen führen.
Aus diesem Grund haben sich alle grossen Gewerkschaften und Arbeitnehmendenorganisationen zusammengetan, um die Ecopop-Initiative mit einer gemeinsam finanzierten Kampagne zu bekämpfen. Sie haben ihre Argumente am Dienstag in Bern vorgestellt.
Die Ecopop-Initiative sei für alle Arbeitnehmenden in der Schweiz gefährlich. Die damit verbundene Beschränkung der Zuwanderung auf 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung führe unweigerlich dazu, dass die Arbeitgeber viel mehr Kurzaufenthalter ins Land holen würden. Diese seien rechtlich schlechter gestellt.
Skrupellose Arbeitgeber könnten ihnen einfacher tiefe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen diktieren. Das schade allen Arbeitnehmenden: Auch ihre Löhne und Arbeitsbedingungen kämen unter Druck.
Verhältnisse wie unter dem Saisonnierstatut
Ecopop führe zu einer Rückkehr zu Verhältnissen wie unter dem Saisonnierstatut, sagte Vania Alleva, Vizepräsidentin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) und Unia-Co-Präsidentin. Familien seien auseinandergerissen worden und Kinder, falls sie doch illegal in die Schweiz gekommen seien, hätten keine Schule besuchen können und im Versteckten leben müssen.
Als die Schweizer Migrationspolitik mit Kontingenten und Saisonnierstatut operiert hat, führte dies laut Alleva zu massivem Lohndruck. Im früheren Kontingentssystem verdienten Saisonniers für die gleiche Arbeit fast 15 Prozent weniger als Arbeitskräfte mit Schweizer Pass. Solche Verhältnisse würden die Löhne und Arbeitsbedingungen aller unter Druck bringen.
Ecopop sei aber auch gefährlich, weil die Initiative Arbeitsplätze gefährde. Eine Annahme der Initiative mit ihrer starren Begrenzung der Zuwanderung würde den bilateralen Weg endgültig scheitern lassen und die Schweiz in die Isolation führen, argumentiert Syna-Präsident Kurt Regotz.
Ohne geregelte Beziehungen zur EU würden Schweizer Firmen gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz massiv benachteiligt. Ihre Produkte würden deshalb teurer. Auslagerungen ins Ausland, Kostensenkungsprogramme und damit Arbeitsplatzabbau wären die Folge.
Migranten als Arbeitnehmer zweiter Klasse
Die Ecopop-Initiative sei aber auch unmenschlich. Die Initiative mache Migrantinnen und Migranten zu Arbeitnehmenden zweiter Klasse. Sie müssten in ständiger Angst leben, mit dem Verlust der Arbeitsstelle auch das Aufenthaltsrecht zu verlieren. Ausländische Arbeitskräfte würden zu Sündenböcken für hausgemachte Probleme gemacht.
Ohne Zuwanderung von ausländischen Fachkräften würden wichtige Branchen wie das Gesundheitswesen, die Alterspflege oder das Bauwesen nicht mehr richtig funktionieren.
Auch der Lehrermangel würde sich nach den Worten von Beat Zemp, Zentralpräsident des Lehrerverbandes LCH und Präsident der Ebenrain-Konferenz, einer Allianz der Arbeitnehmenden mit 13 Berufsorganisationen, noch mehr zuspitzen.
Im Bildungswesen versuche man vor allem in den Grenzkantonen AG, BL, BS, GE, SG, SH und TI das Problem des Lehrermangels zu entschärfen, indem man gut ausgebildete ausländische Lehrpersonen in die Schweiz hole. So betrage der Ausländeranteil bei den Lehrpersonen auf der Sekundarstufe I im Kanton Basel-Stadt bereits 20 Prozent.
Finanzierung der Sozialwerke gefährdet
Ecopop gefährde zudem die sichere Finanzierung der Sozialwerke. Der Beitrag der Migrantinnen und Migranten zu den Sozialwerken sei erheblich: Sie bezahlten 27 Prozent der AHV-Beiträge, bezögen aber nur 18 Prozent der Leistungen. Ohne die Zuwanderung wäre die AHV seit 1992 defizitär. Auch bei der Invalidenversicherung zahlten die Migrantinnen und Migranten mehr ein, als sie beziehen würden.
Für die gemeinsame Kampagne und die damit verbundene historisch äusserst seltene enge Zusammenarbeit haben sich neben den grossen Dachverbänden SGB und Travailsuisse und ihren Mitgliedsverbänden auch die Lehrerverbände LCH und SER, der Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK, der KV Schweiz sowie die Angestellten Schweiz entschieden.
SDA/cpm
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