Diese Kraft. Diese Magie
Cristiano Ronaldo hat in den letzten Wochen wieder einmal bewiesen, dass er ein Fussballer wie kein anderer ist.

Es gibt Momente im Fussball, die sind für die Ewigkeit bestimmt. Nicht viele können sie schaffen. Er kann es. Cristiano Ronaldo.
Die Viertelfinals in der Champions League sind spektakulär gewesen: Liverpools Sturmlauf im Hinspiel gegen Manchester City, die AS Roma, wie sie daheim das grosse Barcelona klein macht, und natürlich Real gegen Juventus, am Mittwoch im Bernabéu. 3:0 hatte Real das Hinspiel gewonnen, 3:0 führt Juventus am Mittwoch in Madrid. Juventus ist grossartig. Und hat Gianluigi Buffon im Tor. Real taumelt. Und fragt sich ängstlich, ob noch etwas kommt von ihm, von CR7.
90 Minuten sind gespielt, die Verlängerung naht, das ungewisse Ende. Die 91. ist vorbei, die 92., die 93. ist angebrochen, als Toni Kroos den Ball zu Ronaldo in den Strafraum lupft und der in die Luft steigt, so hoch und kräftig sein Absprung, dass Alex Sandro um zwei Köpfe kleiner wirkt. Ronaldo legt den Ball in den Fünfmeterraum, wo Lucas Vazquez angerannt kommt. Dann explodiert alles. Buffon. Juventus. Das Stadion. 92:21 Minuten sind gespielt, als Medhi Benatia in Lucas prallt und der Schiedsrichter, Michael Oliver, 33-jährig erst, aber bereits eine Grösse in der englischen Premier League, Elfmeter pfeift. Es ist ein Foul, ein banales, kein schlimmes, aber ein ungeschicktes, ein unnötiges. Benatia hätte es verhindern können, wenn er beim Verteidigen gegen Lucas aufmerksamer gewesen wäre.
Ehrgeizig, als hätte er die Zukunft noch vor sich
Buffon sieht das anders. Alle Juventini sehen das anders. Sie stürmen in geschlossener Formation auf Oliver los. Buffon, mit dem Elan eines 20-Jährigen, die Augen weit aufgerissen, schreit Oliver an: «Geh kacken!» Der Schiedsrichter mit dem streng gekämmten Haar versteht keinen Spass. Rot für Buffon. Der sagt später zum Elfmeterentscheid: «Um so etwas zu machen, muss man anstelle des Herzens einen Abfallkübel eingepflanzt haben. Der hat nicht kapiert, wo er sich befand, welche Mannschaften da spielten. Der hat einen Scheiss kapiert.» Es ist die Sprache des Fussballplatzes.
Buffon muss in die Kabine. Mit 40 Jahren endet seine Geschichte in der Champions League tumultuös. Ronaldo ist weiter da. Mit 33 hat er einen Ehrgeiz, als hätte er die Zukunft noch vor sich.
Die Turiner kriegen sich nicht ein, sie versuchen, Ronaldo zu verunsichern, sie bedrängen ihn, weil es keine Frage ist, wer den Elfmeter schiessen wird. Es gibt nur ihn. Und er lässt äusserlich abprallen, was um ihn herum vorgeht. Er grübelt an der Nase, einmal, zweimal. Stephan Lichtsteiner will ihn provozieren, Mario Mandzukic ist vorne dabei, Giorgio Chiellini fuchtelt Ronaldo vor dem Gesicht herum. Ronaldo nickt ihm zu. Er zieht das Leibchen hoch, um den Mund abzuwischen. Später sagt Ronaldo: «Der Puls ist angestiegen.»
Er muss sich halt irgendwie beschäftigen, er lässt den Ball auf den Boden prallen und küsst ihn. Ein paar Juventini sind mit ihren Störmanövern weiter aktiv, einer zerhackt mit seinem Schuh den Elfmeterpunkt, Asensio streicht ihn wieder glatt. Ronaldo legt den Ball auf dem Punkt zurecht, Mandzukic spitzelt ihn wieder weg, Ronaldo ist vom Kindergartengehabe ungerührt wie ein Turm. Buffons Ersatz Szczesny wühlt den Elfmeterpunkt nochmals auf, jetzt behebt Lucas den kleinen Schaden.
Langsam kehrt die Ordnung auf den Platz zurück. Ronaldo geht ein paar Schritte zurück und stellt sich an der Strafraumlinie auf, um Anlauf zum Elfmeter zu nehmen. Zweimal atmet er tief durch, nochmals die Nase kontrollieren, nochmals durchatmen. Er läuft an, drei Schritte. Viereinhalb Minuten hat er nach Olivers Pfiff auf diesen Augenblick warten müssen. Er schiesst, er trifft und tut das mit einer Überzeugung, die enorme mentale Kraft verrät. Dann bricht alles aus ihm heraus. Dank ihm ist Real im Halbfinal. Wer ihn nicht mag, schreibt wie die «Welt»: «Warum Ronaldos Jubel einfach nur erbärmlich ist.»
Mit enormer mentaler Kraft
Ronaldo hat sich das Leibchen vom Körper gerissen und es zu Boden geworfen. Er hat sich mit seinem muskelbepackten Körper vor einer Eckfahne aufgebaut. Als wolle er zeigen, wer er ist und was er hat, dass er der Grösste ist und was er sich alles im Kraftraum erarbeitet hat. Ein paar Sekunden der Extravaganz, ja. Sie sind ihm gegönnt. Sie gehören zur Geschichte des Cristiano Ronaldo, seit er sich mit Lionel Messi den Zweikampf liefert, wer der Beste der Welt ist. Als er 2009, lange ist es her, für ein Spiel in der Champions League nach Zürich kam, hatte das provinzielle Publikum nicht viel anderes zu tun, als ihn auszupfeifen. Es hätte besser genossen, ihn live zu erleben. Ronaldo hat lange am Image zu tragen gehabt, arrogant zu sein, narzisstisch, egozentrisch. Es ist gemalt von Leuten, die ihn nicht kennen. Sagt zum Beispiel Jorge Baptista, ein portugiesischer TV-Kommentator, der ihn persönlich kennt. Er sagt auch: «Mir dürfen alle glauben: Cristiano ist ein netter, unkomplizierter, hilfsbereiter Mensch, der nicht vergessen hat, woher er kommt.»
Auf einmal ist er nicht mehr der Fussballer, der jammert
Viele ändern ihr Bild von Ronaldo an einem Sonntagabend im Juli 2016, als für ihn der EM-Final mit Portugal gegen Frankreich vorzeitig auf der Bahre endet. Ein Band im Knie ist gezerrt. Ronaldo weint, weniger aus Schmerz, vielmehr aus Enttäuschung. In diesem Moment ist er nicht mehr der Fussballer, der jammert, wenn er hört, dass Messi mehr verdient als er. Er ist der Fussballer, der leidet. In der Verlängerung löst er Fernando Santos als Coach ab, er arbeitet an der Seitenlinie, um die Kollegen auf dem Platz anzutreiben, er sagt, als Portugal 1:0 gewonnen hat: «Es ist einer der glücklichsten Momente meines Lebens.»
Das sagt einer, der bis heute fünfmal Weltfussballer des Jahres gewesen ist und viermal die Champions League gewonnen hat, der inzwischen vier Kinder hat und ein Vermögen von 400 Millionen Franken. Das sagt ein Spieler, der für Clubs und Nationalteam 651 Tore erzielt hat, darunter das vor zwölf Tagen in Turin, in der Champions League gegen Juve.
Dani Carvajal flankt, die Flanke ist unpräzis, der Ball fliegt zu hoch. Ronaldo spürt trotzdem den Moment der Inspiration, er hebt zum Fallrückzieher ab und trifft den Ball perfekt, 2,30 m über Boden. Das Turiner Publikum realisiert, dass es einen magischen Moment erlebt hat. Es erhebt sich und applaudiert Ronaldo. Er sagt: «Das war ein unglaubliches Tor, wohl das schönste meiner Karriere. Es war eine unglaubliche Nacht. Danke an alle Fans von Juventus. Das habe ich in meiner Karriere noch nie erlebt.»
Ronaldos Traumtor
Buffon würde in diesem Moment wahrscheinlich auch klatschen, wenn er nicht gerade im Tor von Juve stehen würde. Am Mittwoch in Madrid gibt er seinen ganzen Frust über Oliver, den Elfmeter und die Rote Karte vor einer Fernsehkamera wieder, als Ronaldo an ihm vorbeigeht. Die beiden umarmen sich innig. Buffon sucht danach nach Worten, «e quindi basta», sagt er dann. Also fertig. Selbst den grossen Gigi kann Ronaldo noch verwirren.
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