Die zwei Versprechen von Syngenta
Ein Jahr nach Übernahme durch Chemchina hat sich der Konzern grundlegend verändert.

«Syngenta bleibt Syngenta.» Dieser Satz ist seit der ersten Annäherung des Agrochemiekonzerns und der chinesischen Chemchina in Basel zum geflügelten Wort geworden. Das Versprechen sollte sicherstellen, dass das Schweizer Unternehmen auch trotz des Verkaufs für 43 Milliarden Dollar nach China seinen ursprünglichen Charakter behält.
Ein Ortsbesuch zeigt: Die sichtbare Lücke im einstigen Gebäuderiegel von Syngenta klafft schon seit Monaten. Der Badische Bahnhof als Durchgangsort für Pendler und Reisende aus Deutschland liegt gegenüber vom Hauptsitz des Konzerns.
Wer den Bahnhof verlässt, blickt heute ungehindert in die Rosentalanlage. Der Bau 2, ein Büroturm aus den Fünfzigerjahren mit dem weithin sichtbaren Syngenta-Logo, ist dort im Herbst 2017 abgerissen worden.
Nur eine Woche vor der Übernahme von Syngenta durch den chinesischen Staatskonzern wurde vergangenen Sommer bekannt, dass ein geplanter Ersatzbau für 30 Millionen Franken an der gleichen Stelle ersatzlos gestrichen wird – mit der Übernahme habe dies nicht zu tun, beteuerten die Verantwortlichen damals.
Stellenabbau und Personalwechsel im Fokus
Syngenta machte seither mit Stellenabbau und Personalwechseln an zentralen Positionen von sich reden – Veränderungen, die ebenfalls nichts mit der Übernahme zu tun haben, wie das Unternehmen jeweils mitteilte.
«Syngenta bleibt Syngenta.» Diese Worte sprachen die Architekten der Übernahme, der Belgier Michel Demaré und der Chinese Ren Jianxin, in unzählige Mikrofone und Kameras. Ein Jahr später sind beide nicht mehr in ihren Ämtern.
Der einstige Präsident Demaré nahm nur Monate nach der Übernahme seinen Hut. Angeblich habe er sich mit dem damaligen Syngenta-Präsidenten Ren Jianxin wegen der Refinanzierung des Megadeals überworfen, berichtete der «Tages-Anzeiger». Jianxin verabschiedete sich vor wenigen Tagen in den Ruhestand – im Alter von 60 Jahren.
Christoph Mäder war der letzte Schweizer, der dem Topmanagement angehörte.
An seine Stelle als Verwaltungschef von Syngenta trat der nur ein Jahr jüngere Ning Gaoning, der zugleich auch Chef von Sinochem ist, der bisherigen Konkurrenz von Chemchina. Den beiden chinesischen Staatsunternehmen wird schon lange nachgesagt, dass sie bald fusionieren dürften. Bis heute haben sie dies nicht bestätigt.
Syngenta-Finanzchef Mark Patrick zeigte sich gestern während der Präsentation der Halbjahreszahlen zuversichtlich, dass sich durch den Wechsel wenig ändern werde, wie er aus der Erfahrung nach einem ersten Treffen des Verwaltungsrates mit dem neuen Präsidenten in der vergangenen Woche berichtete. Die Zahlen fielen gut aus. Der Konzernumsatz stieg im ersten Semester um 5 Prozent auf 7,25 Milliarden Dollar. Unter dem Strich blieben dem Konzern 1,23 Milliarden Dollar, 32 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode. Dennoch stellt sich nicht nur wegen der Wechsel an der Spitze die Frage, was von dem Versprechen noch übrig ist.
Aufhorchen liess im April die Ankündigung des Abgangs von Christoph Mäder, der die Rechtsabteilung leitete. Mit 26 Dienstjahren bei Syngenta galt er als bestens vernetzter Ansprechpartner für Politik und Wirtschaft. Er sitzt unter anderem im Vorstand von Economiesuisse und im Verwaltungsrat von Lonza. Mäder galt neben Demaré als einer der Garanten dafür, dass sich die chinesischen Käufer an die Abmachungen erinnern würden, wenn es darauf ankommen sollte.
Die Avancen von Chemchina
Mit der chinesischen Eigentümerschaft habe sein Abgang nichts zu tun. Mäder war der letzte Schweizer, der dem Topmanagement angehörte. Auch beim Personal verlor die Schweiz über die vergangenen Jahre – nicht erst seit der Übernahme. 2013 arbeiteten laut Unternehmensangaben noch annähernd 4000 Mitarbeiter hierzulande. 2015, kurz vor den ersten Avancen von Chemchina, waren es 3105, bis Ende 2017 sank die Zahl auf 2700.
Christoph Mäder bestätigte den Stellenabbau im SRF-Regionaljournal und erklärte, dass dieser nichts mit der Übernahme zu tun habe: «Das sind Massnahmen, die wir aufgrund der Marktlage und im Kontext der ständigen Überprüfung unserer Prozesse und Strukturen treffen mussten.» Chemchina habe auch keine Arbeitsplatzgarantien für die Schweiz abgegeben. «Was Chemchina garantiert hat, ist der Verbleib des Hauptsitzes in der Schweiz», sagte Mäder.
Schulden auf den Schultern der Mitarbeiter
Der zuständige Basler Volkswirtschaftsdirektor Christoph Brutschin (SP) zeigt sich nicht beunruhigt. An der grundsätzlichen Aufstellung von Syngenta in der Schweiz habe sich wenig geändert, was dem entspreche, was bei der Übernahme in Aussicht gestellt worden sei.
Auf den Schultern der weltweit 27'000 Mitarbeiter von Syngenta ruht inzwischen auch ein Teil der Schuldenlast von Chemchina. Einem Bericht zufolge, den die NZZ zitiert, liegt die Gesamtverschuldung des chinesischen Konzerns bei rund 88 Milliarden Dollar. Syngenta musste im Frühjahr 4,75 Milliarden Dollar am Kapitalmarkt aufnehmen, um die eigene Übernahme mitzufinanzieren.
Syngentas Nettoverschuldung liegt heute bei 7,4 Milliarden Dollar, 2016 waren es noch 2,3 Milliarden Dollar. Die früheren Spitzenmanager Ren Jianxin und Michel Demaré hatten vor einem Jahr angekündigt, dass Syngenta seinen Umsatz innert zehn Jahren verdoppeln soll. Anders als das Bekenntnis «Syngenta bleibt Syngenta» ist das ein Versprechen, das sich an einer Zahl messen lässt.
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