Corona in ÖsterreichDie Zahlen explodieren, doch Wien tut nichts
Die Regierung hat sich trotz Warnungen des Gesundheitsministers nicht zu schärferen Corona-Regeln durchgerungen. Kanzler Sebastian Kurz beklagt dafür mangelnde Impfdosen aus der EU.

Die Zahlen sehen dramatisch aus im Vergleich zur Schweiz oder zu Deutschland, das gerade einen radikalen Lockdown über Ostern beschlossen hat. Deshalb hat sich auch die österreichische Regierung unter Sebastian Kurz mit Landeshauptleuten und Experten zu Beratungen zusammengesetzt.
Doch beschlossen wurde in Wien nichts. «Keine Entscheidung» titelte der Kurier, und der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer wurde mit dem Satz zitiert: «Nichts wird aufgesperrt, nichts wird zugesperrt.» Immerhin eine Nachricht gab es: Die für vor Ostern geplante Öffnung der Gartenwirtschaften wurde bis auf weiteres verschoben.
Gesundheitsminister ist genervt
Nach dem ergebnislosen Treffen erklärte Gesundheitsminister Rudi Anschober im Fernsehen, er habe sich für radikalere Lösungen ausgesprochen, sich aber nicht durchsetzen können. Der Minister deutete an, vor allem die Landeshauptleute hätten sich etwa gegen verlängerte Ferien oder Geschäftsschliessungen ausgesprochen. «Ich dränge, ich drücke, ich fordere. Ich brauche Entscheidungen, die von der Bundesregierung getragen werden, und ich will Entscheidungen, die auch von den betroffenen Ländern getragen werden», so Anschober erkennbar genervt.
Deshalb soll ein zusätzlicher «Ostgipfel» stattfinden, bei dem über schärfere Massnahmen wenigstens für Wien, Niederösterreich und das Burgenland gesprochen wird, die überdurchschnittlich hohe Infektionszahlen ausweisen. In Wien sind die Intensivstationen in den Spitälern offenbar an der Belastungsgrenze angelangt. Auch die Zahl jüngerer Menschen an Beatmungsgeräten steigt.
Nicht nur in der Auseinandersetzung mit den Ländern hatte die Regierung in Wien zuletzt den Kürzeren gezogen, auch in Brüssel drohen scharfe Auseinandersetzungen. Kanzler Kurz klagt seit zehn Tagen über die mangelnde Transparenz bei der Verteilung von Impfstoffen und einen «Impfbasar».
Anders als verabredet sei die Zahl der Impfdosen nicht nur gemäss der Bevölkerungszahl, sondern auch anhand zusätzlicher Nebenabsprachen verteilt worden. Deshalb seien einige Länder, so auch Österreich, zu kurz gekommen; er sei über das Prozedere nicht informiert worden. Eine Mitverantwortung sah Kurz offenbar auch bei dem österreichischen Vertreter im sogenannten Steering Committee in Brüssel, der in der Folge von Wien abberufen wurde.
In Brüssel beharrt man darauf, dass es keine Geheimabsprachen gegeben habe.
Mit zehn Millionen zusätzlichen Impfdosen will die EU nun ein tatsächlich herrschendes Ungleichgewicht ausgleichen. In Brüssel beharrt man aber angesichts der Kritik aus Wien darauf, dass es keine Geheimabsprachen gegeben habe. Vielmehr hätten einige Länder besser, andere schlechter verhandelt und im vergangenen Herbst mit Blick auf die Kosten einzelner Impfstoffe und auf die problematische Lagerung etwa von Biontech/Pfizer auf ihnen zustehende Mengen verzichtet. Andere Staaten hätten diese freien Chargen dann aufgekauft. Österreich, Bulgarien, Lettland, Slowenien und Tschechien fordern dennoch eine Neuverteilung – und entsprechende Beschlüsse auf dem Gipfel am Donnerstag.
In Brüssel heisst es zwar, man plane eine Verteilung zusätzlicher Dosen auf jene Staaten, die wegen ihrer hohen Infektionszahlen den grössten Bedarf hätten, so etwa Estland, Lettland, Bulgarien und Kroatien. Österreich gehöre aber nicht dazu. Offenbar hatte Kurz mit seinem gegen die EU gerichteten Vorstoss viel Irritation ausgelöst, weshalb sich nun die Stimmen häufen, die Österreich keine zusätzlichen Vakzine zugestehen wollen.
Österreich könnte ein Veto einlegen
Er sei überrascht darüber, so der deutsche Europastaatssekretär Michael Roth, dass der Eindruck mangelnder Solidarität entstanden sei. «Wir haben hier ein sehr transparentes Verfahren. Daraus einen Konflikt zu konstruieren, der der Heilung bedarf, sehe ich überhaupt nicht.» Der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Peter Liese, äusserte sich noch schärfer: Er unterstütze «mit Nachdruck» die Position, keine Debatte über eine Neuverteilung von Corona-Impfstoffen in der EU anzustossen. Die Kritik von Kurz an der Impfstoffverteilung sei unberechtigt. «Grund für die Klagen sind Fehler seiner Regierung und von den Regierungen der Unterstützer.» Kurz solle deshalb nicht als Ankläger auftreten, sondern sich in Selbstkritik üben.
Allerdings braucht es auf dem Gipfel in Brüssel einen einstimmigen Beschluss über die Verteilung zusätzlicher Impfstoffe – Österreich könnte ein Veto einlegen. In Wien heisst es, man erwarte sich «Fairness und Solidarität».
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