Die Windsbraut und der Dorfkönig
Deborah Gröble, die jüngste Tourismusdirektorin der Schweiz, erinnert den Gemeindepräsidenten von Silvaplana an Greta Garbo und Lady Di.
An manchen Tagen braucht es herzlich wenig, um das Glück in Deborah Gröbles Augen aufleuchten zu lassen und zugleich in ihrer Agenda ein kleines Chaos anzurichten. Schon eine Drehung des Kopfs genügt.
So wie neulich, an einem späten Vormittag.
«14.30 Uhr: Meeting Daniel B., Gemeindehaus»
Deborah schaut vom Bildschirm auf und aus dem Fenster zum Silvaplanersee. Sie fährt den Computer herunter, greift zum Telefon und wählt die Nummer des Mannes, der die damals 26-jährige Touristik-Absolventin vor wenigen Monaten zur jüngsten Tourismusdirektorin des Landes erkoren hat.
«Dani, wir müssen den Termin schieben – ich sehe Schaumkronen auf dem See. Ich muss raus!» – «Klar, versteh ich», antwortet Daniel Bosshard, Gemeindepräsident von Silvaplana und Besitzer des Hotels Albana. «Am liebsten würde ich auch Surfen gehen.» – «Ach komm», frotzelt sie neckisch. «Du surfst doch lieber in Lanzarote, unser See ist zu kalt für dich!» Das lässt sich Bosshard nicht zweimal sagen. «In fünf Minuten unten am See!»
«Der Malojawind ist das Geheimnis des Windsurfer-Paradieses.»
Beim Surf-Center zwängen sich der 59-jährige Dorfkönig und seine junge Mitarbeiterin in Neopren-Häute. Sie steigen aufs Board, legen sich ins Trapez, fassen den Gabelbaum, fliegen übers Wasser. Bald schon sind sie in einem bunten Tohuwabohu verschwunden – zwischen Windsurfern, die knatternd über die Wellen schiessen, und Kite-Surfern, die unter ihren Lenkdrachen hoch überm Wasser Kapriolen schlagen.
Es ist nicht nur das touristische Geschäft, das die beiden verbindet, es ist auch die gemeinsame Liebe zu einem besonderen Wind. «Er ist thermisch», erklärt Deborah, «ein Phänomen unserer Topografie.» Er kommt unerwartet; denn dieser Wind ist kein Kind meteorologischer Isobaren: Wenn die Sonne auf die Poebene brennt und die heisse Luft über die südalpinen Kreten und den Malojapass kocht, fegt er kräftig über die Oberengadiner Hochebene. «Der Malojawind ist das Geheimnis des Windsurfer-Paradieses.»

Die Geschichte vom Gemeindepräsidenten und seiner Tourismusdirektorin reicht tief in die Vergangenheit. Vor vier Jahrzehnten, lange bevor Deborah geboren wurde, zogen ihre nachmaligen Eltern aus dem Unterland nach Silvaplana, um hier eine Familie zu gründen.
Etwa zur selben Zeit verliess der junge Emmentaler Daniel Bosshard die Heimat, um nach der Kochlehre im Hotelfach einzusteigen. Im St. Moritzer Suvretta House fand er einen Job – und in der Nachbargemeinde seinen Sport: Mit dem Windsurfen, damals noch ein Spass für Spinner, war er der Zeit voraus. Der Silvaplanersee galt in der Szene als heisser Geheimtipp. Bosshard gehörte zu den Pionieren einer neuen Sportart.
«Sie hat dieses Charisma, diese geheimnisvolle Aura»
Dann zog er weiter, zurück über den Julierpass ins Prättigau. In Klosters, im mittlerweile abgerissenen Fünfsternhotel Pardenn, lernte er als Direktionsassistent weltberühmte Frauen kennen: Greta Garbo, die «Göttliche» war Stammgast beim 4-Uhr-Tee, während im Swimmingpool eine Vertreterin des englischen Hochadels ihre Runden drehte. Noch kannte kaum jemand den Namen Diana Spencer, doch die Vermählung mit dem britischen Thronfolger war beschlossene Sache.
Bosshard kehrte zurück ins Engadin und führte als Direktor das Hotel Albana in Silvaplana. Er präsidierte den Kurverein, wurde in den Gemeindevorstand und vor drei Jahren zum Präsidenten der Gemeinde gewählt. Als Skilehrer begegnete er auf dem Hausberg Corvatsch einer Kollegin, die ihm schon beim Windsurfen auf dem See aufgefallen war: Die junge Deborah Gröble erinnerte ihn frappant an die Legenden von Klosters, an die ehemalige Filmdiva und die zukünftige Herzensprinzessin. «Sie hat dieses Charisma, diese geheimnisvolle Aura.»
Er ahnte, dass Deborah Gröble grosse berufliche Fähigkeiten hat. So beschloss Daniel Bosshard, die Verantwortung für Silvaplana Tourismus in die Hände dieser jungen Frau zu legen.
Chillen, wo früher der Verkehr durchbrauste
Knapp über tausend Menschen leben im Dorf am Fuss der Julierpassstrasse, auf jeden Einwohner kommen nahezu zehn Gästebetten. Es ist Deborah Gröbles Aufgabe, diese Kapazität effizient auszulasten. Sie erinnert sich gut an die Jahre ihrer Kindheit, «als die vielen Autos, riesige Lastwagen und knatternde Motorräder auf der schmalen Julierstrasse durchs Dorf donnerten; Lärm und Gestank waren so schlimm, dass die Schüler protestierend zum Kantonsparlament nach Chur zogen».

Zwanzig Jahre später, Mitte Juni letzten Jahres, eröffnete Gemeindepräsident Bosshard den Tunnel, der die Menschen im Dorf aufatmen lässt. Er mündet in einen neuen Kreisel, wo jene, die in St. Moritz den Luxus geniessen wollen, links abbiegen – und rechts gehts Richtung Malojapass und Italien. Nur wer in Silvaplana bleiben will, kommt ins Dorf. Dort, wo einst die Fahrzeuge den Menschen das Leben schwer machten, lädt der verkehrsberuhigte Dorfplatz zum Chillen und Plaudern ein – auch ein Projekt des Gemeindepräsidenten Bosshard.
Er hat bereits neue Pläne. «Aber die», lacht er, «stehen noch nicht einmal auf dem Papier: Ich würde gern bei uns in Silvaplana ein Low-Budget-Hotel für Kite- und Windsurfer eröffnen.» Seine Tourismusdirektorin freuts. Auch sie hat – «in weiter Ferne allerdings!» – einen Traum: «Eines Tages werde ich mir eine Auszeit nehmen», sagt sie und verdreht schwärmerisch die Augen. «Dann fahre ich von Alaska bis hinunter nach Feuerland.»
Die Panamericana führt über 25'000 Kilometer von Amerikas äusserstem Norden bis in den tiefsten Süden – die schönsten, endlosen Strände der Pazifikküste entlang. Deborah wird ihr wichtigstes Reiseutensil aufs Autodach binden: das Surfboard.
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