Die wenigsten Eritreer werden gehen
Die mit grossem Aufwand betriebene Asyldossier-Prüfung bringt bescheidene Resultate.

Im Mai demonstrierten rund 1500 Eritreer auf dem Bundesplatz gegen eine angebliche Verschärfung der Schweizer Asylpolitik. Diese bestand darin, dass das Staatssekretariat für Migration (SEM) zuvor angekündigt hatte, bei insgesamt 3200 der 9400 vorläufig aufgenommenen Eritreer abzuklären, ob die Gründe für eine vorläufige Aufnahme noch bestehen. Bei diesen Personen handelt es sich nicht um Flüchtlinge, sondern um rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber, die aus verschiedenen Gründen nicht ausgeschafft werden können.
Doch so heiss wurde die Suppe nicht gegessen: Im Rahmen eines Pilotprojektes überprüfte die Behörde vorerst lediglich 250 der für eine Wegweisung in Frage kommenden Dossiers. Wie gestern klar wurde, ist gerade einmal bei 20 Personen oder in neun Prozent der Fälle eine Aufhebung der vorläufigen Aufnahme «rechtlich vertretbar und verhältnismässig», wie Staatssekretär Mario Gattiker vor den Medien erklärte.
Für dieses bescheidene Resultat setzte das SEM während eines Vierteljahres mehr als fünf Mitarbeitende ein. Gattiker kündigte gestern an, dass das SEM nun weitere 2800 Dossiers vorläufig aufgenommener Eritreer überprüft – mit voraussichtlich noch bescheidenerem Resultat. Denn er rechnet damit, dass sogar nur noch drei bis vier Prozent der Fälle die Voraussetzungen für den Entzug der vorläufigen Aufnahme erfüllen werden.
Die Frage, ob derart bescheidene Resultate den Einsatz von öffentlichen Geldern rechtfertigen, beantwortete er mit dem Hinweis auf den gesetzlichen Auftrag, der eine periodische Überprüfung der vorläufigen Aufnahmen verlange. «Erfahrungsgemäss erfüllen dabei jeweils rund vier Prozent der Fälle die Voraussetzungen für einen Entzug des Status.» Gemessen daran ist die Quote bei den nun überprüften 250 Dossiers hoch. Was laut Gattiker daran liegt, dass es sich vor allem um Personen handle, die den Nationaldienst in Eritrea bereits geleistet haben.
Wer nicht gehen will, kann bleiben
Dass die Mehrheit der 250 überprüften Eritreer hier bleiben kann, liegt daran, dass eine Wegweisung unzumutbar ist. Sei es, weil sie schon zu lange in der Schweiz leben und beispielsweise Kinder haben, die hier zur Schule gehen. Oder weil sie in Eritrea in eine Region zurückkehren müssten, in der sie allenfalls in eine «existenzbedrohende Situation geraten könnten», etwa weil sie dort keinen Zugang zu sauberem Wasser, zu Nahrung oder zu medizinischer Versorgung hätten, so Gattiker. Ein Vorbehalt, der vor allem für alleinerziehende Mütter gelte.
Es ist zudem unklar, ob die 20 Eritreer ausreisen, denen der Bund nun den Status der vorläufigen Aufnahme entzieht. Sie können den Entscheid vor Bundesverwaltungsgericht (BVGer) anfechten und bleiben, wenn sie recht bekommen. Bleiben können auch jene, die die Ausreise verweigern – der eritreische Staat akzeptiert keine zwangsweisen Rückführungen. Wer widerrechtlich bleibt, hat nur noch Anspruch auf Nothilfe. Also auf Nahrung, Hygiene, Kleidung und medizinische Versorgung. Die Betroffenen erhalten häufig Gutscheine oder Sachleistungen.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) kritisiert das Vorgehen des Bundes harsch. Dadurch blieben die Menschen gefangen im unwürdigen Elend der Nothilfe, ohne Zugang zu Integration und Arbeitsmarkt. «Der harte Kurs des Bundes ist keine Lösung, sondern politische Effekthascherei», sagt Peter Meier, Leiter Asylpolitik der SFH. Ähnlich klingt es bei Amnesty International. Trotz der Annäherung an Äthiopien gebe es keine konkreten Zeichen dafür, dass sich die Menschenrechtslage in Eritrea verbessert habe, teilt die Organisation mit. Selbst das Bundesverwaltungsgericht habe dies anerkannt. Zudem habe das Gericht den Nationaldienst ausdrücklich als verbotene Zwangsarbeit qualifiziert.
Ungebrochen hohe Schutzquote
Der Überprüfung der Dossiers ging eine Praxisänderung des SEM im Sommer 2016 voraus. Damals entschied die Behörde, dass allein die illegale Ausreise aus Eritrea nicht mehr als Asylgrund ausreicht. Das BVGer stützte die Praxis und entschied zudem im vergangenen Jahr, dass eine Rückkehr nach Eritrea nicht mehr in jedem Fall unzumutbar ist. Im Juli präzisierten die St. Galler Richter in einem weiteren Urteil, dass die Rückkehr abgewiesener eritreischer Asylbewerber auch dann zulässig und zumutbar ist, wenn diese danach ein Aufgebot für den Nationaldienst in Eritrea erhalten.
Dieser sei zwar eine unverhältnismässige Last, stehe der Wegweisung jedoch nicht entgegen – zumal es im Nationaldienst nicht flächendeckend zu Misshandlungen und sexuellen Übergriffen komme.
Bis Mitte 2019 will das SEM bei weiteren 2800 Eritreern prüfen, ob ihnen die vorläufige Aufnahme entzogen werden kann. In erster Priorität würden die Dossiers von Familien, unbegleiteten Minderjährigen und Personen in Ausbildung überprüft. Dies mit dem Ziel, ihnen rasch Rechtssicherheit zu schaffen, damit die Integrationsmassnahmen bei jenen, die bleiben dürften, weitergeführt werden könnten, so Staatssekretär Gattiker. Zudem werde in «jedem einzelnen Fall» geprüft, ob jemand straffällig geworden sei. Ist dies der Fall, leite das SEM ein Verfahren zur Aufhebung der vorläufigen Aufnahme ein. Doch auch in diesen Fällen ist davon auszugehen, dass die Betroffenen in der Schweiz bleiben werden.
Dies und die ungebrochen hohe Schutzquote – die Schweiz anerkennt rund 50 Prozent der eritreischen Asylbewerber als Flüchtlinge und nimmt weitere 25 Prozent vorläufig auf – führt dazu, dass sich wohl allem Aufwand zum Trotz wenig verändern dürfte.
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