Die Volksinitiative kommt auf den Prüfstand
Die Volksinitiative soll künftig vorab auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten geprüft werden. Das entschied der Nationalrat – trotz Veto der SVP.

Der Bund soll Volksinitiativen künftig vor Beginn der Unterschriftensammlung inhaltlich vorprüfen. Der Nationalrat hat heute einem Vorstoss aus dem Ständerat zugestimmt. Er möchte auch neue Regeln dafür, wann Initiativen für ungültig erklärt werden können.
Es kommt immer wieder vor, dass Volksinitiativen wie jene zur Verwahrung oder zur Ausschaffung das Völkerrecht tangieren oder Grundrechten widersprechen. Nun soll es neue Regeln geben für diese Fälle. Der Bundesrat hatte in einem Bericht verschiedene Möglichkeiten vorgeschlagen. Einer davon haben nun beide Räte zugestimmt: Sie beauftragen den Bundesrat, eine entsprechende Vorlage auszuarbeiten.
Die Bundesverwaltung soll vor Beginn der Unterschriftensammlung eine Einschätzung darüber abgeben, ob eine Initiative mit dem Völkerrecht vereinbar ist. Diese materielle Vorprüfung des Bundes soll unverbindlich sein. Die Initianten könnten selbst entscheiden, ob sie ihren Initiativtext anpassen wollen oder nicht.
Besteht die Initiative die Vorprüfung nicht, müsste aber auf den Unterschriftenbögen ein «Warnhinweis» angebracht werden, dass die Initiative möglicherweise mit dem Völkerrecht in Konflikt steht. Die SVP stellte sich vehement gegen diese Neuerung, die in ihren Augen eine Schwächung der Volksrechte darstellt.
Nur SVP dagegen
Hans Fehr (SVP, ZH) sprach von einem «Angriff auf die Volksrechte und die direkte Demokratie». Die Volksrechte würden amputiert. Rudolf Joder (SVP, BE) befürchtet, dass Initiativen mit Warnhinweis keine Chance hätten. Es dürfe nicht sein, dass die Verwaltung über die Gültigkeit von Volksinitiativen entscheide. Die heutige Regelung habe sich absolut bewährt.
Die SVP, deren Initiativen Anlass für die geplante Änderung waren, blieb mit dieser Ansicht aber allein. Der Rat stimmte der Motion mit 103 zu 55 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu. Justizministerin Simonetta Sommaruga sagte, von einer Schwächung der Volksrechte könne nicht die Rede sein. Der Warnhinweis sei bloss eine Entscheidungshilfe für die Stimmbürger. Die Kompetenz von National- und Ständerat, über die Gültigkeit zu entscheiden, bleibe unangetastet.
Andreas Gross (SP, ZH) hatte sich im Namen der vorberatenden Kommission für eine Änderung ausgesprochen. Wenn das Parlament nichts mache, diskreditiere es sowohl die Idee der Menschenrechte als auch jene der direkten Demokratie, da es immer wieder Probleme mit der Umsetzung angenommener Initiativen gebe.
Mehr Gründe für Ungültigkeit
Ebenfalls Ja sagte der Nationalrat zu einer Motion aus seinen eigenen Reihen, über die der Ständerat noch nicht befunden hat. Stimmt der Ständerat ebenfalls zu, kann der Bundesrat einen weiteren seiner Vorschläge umsetzen.
Demnach soll der Katalog der materiellen Gründe erweitert werden, aus denen eine Initiative für ungültig erklärt werden kann. Heute kann das Parlament eine Initiative nur für ungültig erklären, wenn sie zwingendem Völkerrecht widerspricht – etwa dem Verbot von Folter, Völkermord oder Sklaverei.
Nach dem Willen des Nationalrates sollen künftig auch solche Initiativen für ungültig erklärt werden, die im Widerspruch zum Kerngehalt der Grundrechte der Bundesverfassung und zum Kerngehalt der Europäischen Menschenrechtskonvention stehen.
Initiative für Todesstrafe ungültig
Der Bundesrat hatte nur den Kerngehalt der verfassungsrechtlichen Grundrechte vorgeschlagen. Darunter fallen beispielsweise Zwangsheirat, Todesstrafe oder der erzwungene Beitritt zu einer religiösen Gemeinschaft.
Eine Initiative zur Einführung der Todesstrafe müsste damit für ungültig erklärt werden. Nach wie vor für gültig erklärt würde dagegen die Minarettinitiative. Diese tangiert zwar mit der Religionsfreiheit ein Grundrecht, nicht aber dessen Kerngehalt.
SVP-Vertreter monierten, dies sei eine gefährliche Erweiterung, da unklar sei, was mit «Kerngehalt» gemeint sei. Justizministerin Simonetta Sommaruga widersprach. Es handle sich um einen etablierten Rechtsbegriff.
Im Übrigen stellte Sommaruga fest, dass auch die Umsetzung beider vom Nationalrat befürworteten Massnahmen nicht vollständig verhindern würde, dass es zu Konflikten zwischen Volksinitiativen und Grundrechten käme. Dies sei eine Konsequenz der grossen Bedeutung, welche die Schweiz den Volksrechten beimesse. «Das ist auch gut so», sagte die Justizministerin.
SDA/kle
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