Besondere FerienhäuserDie Villa in Gedanken
Das Thema Ferien wird auch diesen Sommer nicht unbelastet sein. Kurzfristig kann man sich aber gut am Bildschirm wegträumen. Ein Plädoyer fürs Screen Travelling.

Als im Jahr 2007 die Seite Urlaubsarchitektur.de online ging, war das eigentlich ein reiner Freundschaftsdienst.
Architekt Jan Hamer war in seinem Bekanntenkreis immer wieder nach geschmackvollen und architektonisch lohnenden Ferienhäusern gefragt worden – also bastelte er eine kleine Seite, auf der er solche Empfehlungen sortierte und fortan sammelte. Für Menschen wie ihn, die auch oder gerade in den Ferien Wert auf ästhetische Wohnumgebung legten oder eine Abneigung gegen banale Hotelzimmer hatten.
Fünfzehn Jahre später ist aus der Liebhaberei eine Plattform geworden, die schon sehr vielen Menschen aussergewöhnliche Ferientage beschert hat. In meist privaten Häusern, gebaut oder renoviert von Profi-Ästheten oder zumindest souveränen Geschmacksinhabern und vermietet an jene, die Design oder Baugeschichte eines Hauses zu schätzen wissen und dafür vielleicht auch mal ihr Budget ausreizen können.
Zeitgemässe Form des Eskapismus
550 solcher besonderen Ferienhäuser und -wohnungen in ganz Europa sind mittlerweile in die Übersicht aufgenommen, ein fünfköpfiges Team kuratiert das Angebot. Die Seite bedient dabei auch eine sehr zeitgemässe Form des Eskapismus, an die man sich seit Kurzem zwangsgewöhnt hat.
Man könnte es vielleicht Screen Travelling nennen – in Anlehnung an die Disziplin des Armchair Travelling, in der es vor allem die Briten vor Jahrhunderten zur Meisterschaft gebracht haben, exemplarisch überliefert etwa in Form von «Gullivers Reisen» oder «Alice im Wunderland». Schriftsteller und Leser betrieben damals eine besonders nachhaltige Form des Verreisens, bei der sie die wildesten Abenteuer durchlebten, ohne dabei die behagliche Sicherheit ihrer eigenen vier Wände verlassen zu müssen.


Dass solche Fantasiesafaris noch mal vonnöten sein würden, hätte in den vergangenen Jahrzehnten keiner geahnt, als alle Welt wie wild unterwegs war und selbst die grössten Langweiler Expeditionskreuzfahrten buchen konnten – im Whirlpool zum Nordpol. Aber schon vor Corona war das Thema Ferien nicht mehr unbelastet. Man denke an den viralen Begriff der Flugscham, «Fridays for Future» oder die immer längere Liste der Länder, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr ansteuerbar waren.
Dann kamen die Lockdowns und geschlossene Grenzen, geplatzte Reisen, Horrorgeschichten von Kreuzfahrtschiffen, Waldbrände, Fluten und Erdbeben. Jetzt ist Krieg in Europa, auf den Bahnhöfen und Flughäfen der Hauptstädte kommen Flüchtende an – wer kann und will dazwischen wirklich unbefangen zwei Wochen pauschal abzwitschern? Ausserdem erleben wir eine Preisentwicklung, dank der viele das Feriengeld dieses Jahr wohl lieber für die Nebenkostenabrechnung beiseitelegen.
In den Weiten der Airbnb-Angebote ist ein Meer von indiskutablen Inseraten dabei.
Leibhaftig längere Lustreisen anzutreten, das wird also auch diesen Sommer wieder ein schwieriges Thema. Dabei macht sich gerade jetzt, am Ausgang eines mühsamen Winters, auf der langen Geraden einer Pandemie und angesichts der allabendlichen Kriegsbilder, doch penetrant ein kleinlicher Wunsch bemerkbar: Ich will mal raus. Muss mal weg, brauch mal Sendepause oder, besser gesagt, Empfangspause.


Eine Seite wie Urlaubsarchitektur.de kommt da gerade recht. Eine halbe Stunde in der Mittagspause in diesem perfekt eingerichteten Loft in Südfrankreich oder den puristisch aufgeräumten Cabins in der Uckermark schwelgen, dazu die nett-fundierten Beschreibungen von Haus und Ort lesen, kurz eintauchen in die Idee idealer Ferien, das klärt den Geist ungemein. Links an Freunde verschicken, mit dem Hinweis: «Das wäre es!» Oder sich einen Abend lang mit dem Partner gegenseitig mit Traumhäusern bewerfen und gemeinsam da- und dorthin wegdenken – das tut richtig gut.
In den unendlichen Weiten der Airbnb-Angebote geht das nicht richtig. Da ist zu viel touristische Bückware und ein Meer von indiskutablen Inseraten dabei, die noch aus der Zeit stammen, in der Reisen eben nichts Wertvolles war.
Inhaltliche Tiefe und appetitliche Präsentation
Nein, für gelungenes Screen Travelling muss es heute die richtige Mischung sein aus inhaltlicher Tiefe und appetitlicher Präsentation, ein Panoptikum der Perfektion, in dem man schon vom Schauen satt wird und Augen und Geist bei jedem Bild gestreichelt werden.
Sehr gut gelingt das auch auf der schönen Seite Ferien im Baudenkmal, hinter der eine sehr engagierte, gleichnamige Schweizer Stiftung steht. Hier reist der Screen Traveller mitten hinein in die guten Stuben von uralten Häusern, Villen und Berghütten.
Wenn man eine Woche in Gedanken dort verbracht hat, war man ein bisschen da.
Sie wurden von der Stiftung behutsam saniert und geschmackvoll renoviert – um jetzt als Feriendomizile vor dem Verfall oder Vergessen gerettet zu sein. Bauhistorische Nachhilfe und Interieur-Porno vereinen sich dabei aufs Beste. Und auch hier gibt es Meditationseffekte für den verhinderten Reisenden. Diese Bildergalerien mit den sonnenverbrannten, alten Holzfassaden, den Gletschern im Hintergrund und den Bänken an der Hauswand zu betrachten, die geschliffenen Dielen aus Arvenholz mit Corbusier-Möbeln darauf oder freistehende Badewannen mit Blick ins Tal – das ist zutiefst beruhigender Eskapismus und befriedigt die Sehnsucht nach einer anderen Zeit als der Gegenwart. Ähnlich wie bei Urlaubsarchitektur.de wird das wirkliche Verreisen in so ein Bündner Patrizierhaus oder eine entkernte Scheune aus dem 19. Jahrhundert eher zweitrangig. Aber es spielt schon eine grosse Rolle, dass man es könnte. Ganz Instagram funktioniert mit diesem Hebel: Habe ich nicht, hätte ich aber gerne


Bei einigen Häusern geht man nach dem Abend als Screen Traveller vielleicht sogar den Schritt weiter, sichtet die Preise in Vor- und Hauptsaison und die belegten Wochen im Spätsommer und gleicht sie mit seinem eigenen Kalender ab. Auch das gehört zu der platonischen Form des Reisens, auch das schüttet alles schon Dopamin aus, das spielerische Planen und die ganze «Was wäre, wenn»-Situation sind als Ablenkung willkommen.
Auch wenn man diese Traumhäuser dann doch nicht bucht, weil letztlich Geld, Termine oder Anfahrtsweg dagegensprechen – schon wenn man eine Woche in Gedanken dort verbracht hat, war man ein bisschen da. Oder zumindest nicht ganz hier. Und darum geht es ja gerade.
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