Die vergessenen Glanzjahre des Frauenfussballs
Vor rund hundert Jahren erlebte der Frauenfussball goldene Zeiten. Dann sprach der englische Verband ein Verbot aus, das die Frauen fünfzig Jahre lang aus den Stadien verbannte.

Wenn im Halbfinal der Frauen-Europameisterschaft England und Holland aufeinandertreffen, sind die 30'000 Plätze im Stadion von Enschede ausverkauft. Vor rund hundert Jahren aber erreichte ein Benefizspiel zweier Frauenteams den damaligen Zuschauerrekord von 53 000. Es war der Höhepunkt einer erstaunlichen Entwicklung. Aus dem öffentlichen Diskurs sind diese Jahre verschwunden, in denen der Frauenfussball ganz gross war. Ein kürzlich ausgestrahlter Dokumentarfilm («When Football Banned Women») des britischen Fernsehsenders «Channel 4» beleuchtet die Epoche von Neuem.
Von der Fabrik ins Stadion
England, 1914: Der erste Weltkrieg ist ausgebrochen, und viele Frauen arbeiten in Fabriken, in denen vor allem Kriegsmaterialien hergestellt wird. Ablenkung von der gefährlichen und repetitiven Arbeit finden die Frauen in den Mittagspausen beim Fussballspielen. Nach einer dieser Fabriken in der nordenglischen Industriestadt Preston sind die «Dick, Kerr's Ladies» benannt, das beste Team dieser Zeit. Nachdem der Büroangestellte Alfred Frankland die Frauen beim Fussballspielen beobachtete, entschliesst er sich, ihr Trainer zu werden und Benefizspiele zu organisieren. Dabei soll Geld für die verwundeten Soldaten gesammelt werden. Das erste Spiel, an Weihnachten 1917, wird ein voller Erfolg: 10 000 Zuschauer sehen, wie das Heimteam 4:0 gewinnt.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 sind die grossen Entwicklungen im Frauenfussball erst am Anfang. Die herausragende Spielerin dieser Epoche ist Lily Parr. In ihrer ersten Saison erzielt das 14-Jährige Ausnahmetalent 43 Tore. Die pfeilschnelle Linksfüsserin hat einen so harten Schuss, dass ein männlicher Torhüter sich bei der Abwehr eines Elfmeters das Handgelenk bricht. In ihrer sagenhaften Karriere, die 32 Jahre dauert, erzielt Parr über 1 000 Tore.
Obwohl die Männerliga 1919 wieder aufgenommen wird, ist die Popularität der Frauenteams ungebrochen. Der Höhepunkt ist der Boxing Day (26. Dezember) 1920: Im Goodison Park des FC Everton schauen sich 53 000 Zuschauer das Spiel der Dick, Kerr's Ladies an, ein Rekord. Weitere 14 000 Fans müssen während dem Spiel vor den Eingängen warten.
Ein 50 Jahre langes Verbot
Die goldene Zeit des Frauenfussballs findet ein jähes Ende. Ein Jahr nach dem Rekordspiel spricht der englische Verband FA ein einschneidendes Verbot aus. Frauenteams dürfen die Stadien der Clubs nicht mehr benutzen. Die offizielle Begründung dafür lautet, dass «das Fussballspiel für Frauen nicht geeignet ist und deshalb nicht gefördert werden sollte.»
Dieser Vorwand könnte laut der Dokumentation ein politisches Motiv des Fussballverbots verdeckt haben. In den Jahren nach dem Krieg sammelten die Frauenteams nicht mehr nur Geld für Kriegsveteranen, sondern auch für Minenarbeiter, die unter hohen Lohneinbussen litten. Die Fussballspiele waren Treffpunkte der Arbeiterklasse und das Establishment wollte eine Ausbreitung politisch linker Ideen verhindern.
Die FA hielt das Verbot ein halbes Jahrhundert lang aufrecht. Die Einstellungen zu den Fussballerinnen änderten sich in dieser langen Zeit dramatisch. Während vor dem Verbot den Dick, Kerr's Ladies zugejubelt wurde, erzählt eine ehemalige Spielerin in der Dokumentation, wie ihr Vater ihre Fussballschuhe verbrannte. 1965 mussten die Dick, Kerr's Ladies wegen Spielerinnenmangels ihr Team auflösen. Was bleibt, ist ihre unglaubliche Statistik. Sie sammelten Geld im heutigen Wert von 12.5 Millionen Franken für Kriegsveteranen. In 828 Spielen haben sie 758 Mal gewonnen und nur 24 Mal verloren.
Die Parallelen zu Deutschland
Nicht nur in England behinderte der Verband die Entwicklung der Fussballerinnen. Parallelen zur Situation in Deutschland fallen auf. Der DFB verbot von 1955-1970 den Frauenfussball – «aus Sorge um das weibliche Wohl und die Aufrechterhaltung der Moral», wie der «Spiegel» schreibt. Die diskriminierende Begründung war gleich wie auf der Insel. Auch die Umstände der Aufhebung des Verbots waren ähnlich. In England gründeten die Frauen 1969 einen eigenen Verband und auch in Deutschland stand dies kurz bevor. Die Engländerinnen nutzten die Fussballeuphorie in ihrem Land nach dem Triumph der Männer an der WM 1966 zu ihren Gunsten. Zusätzlich übte die Uefa Druck aus, dass die nationalen Verbände den Frauenfussball unter ihre Fittiche nehmen sollten.
Die Pionierinnen wurden zu einem Symbol der Freiheit
Und heute, rund hundert Jahre nach der goldenen Epoche des Frauenfussballs? Die Folgen des Verbots auf die Einstellung gegenüber Fussballerinnen sind immer noch zu spüren. Aber die Fussballerinnen von damals, die zu einem Symbol für Selbstbestimmung und Freiheit wurden, haben bleibende Spuren hinterlassen. 2002 wurde ihr Star Lily Parr als erste Frau in die Hall of Fame des englischen Fussballmuseums aufgenommen. In diesem Mai wurden die Dick, Kerr's Ladies mit einer Plakette am Gebäude ihrer ehemaligen Fabrik in Preston als «Pionierinnen des Frauenfussballs» geehrt. Es ist eine kleine Geste, die an grosse Sportlerinnen erinnert.
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