Die Stadt der Zukunft, in der keiner leben will
Mit New Ordos wollte die chinesische Regierung ein Vorzeigeprojekt mitten in einer unwirtlichen Gegend schaffen. Doch die Retortensiedlung, die Platz für 300'000 Menschen bieten würde, verkommt zur Geisterstadt.
Das Stadtbild erinnert an einen Science-Fiction-Film: Kaum eine Wand im Zentrum von New Ordos, einer Retortenstadt in der Inneren Mongolei, ist gerade. In der Stadtmitte gibt es fast keinen rechten Winkel, sondern nur geschwungene Fassaden und schräge Dächer. Nur etwas fehlt: Menschen. Die Stadt ist praktisch fertig gebaut, doch fast niemand will in ihr leben. New Ordos soll die Stadt der Zukunft werden, doch in der Gegenwart ist sie nichts weiter als eine Geisterstadt. Und wenn sich nicht in absehbarer Zeit etwas ändert, ist sie bald eine Stadt der Vergangenheit.
Dabei hat die Geschichte von New Ordos eben erst begonnen. Eigentlich ist die Supersiedlung nur ein Stadtteil, 2004 wurde mit dessen Bau in der Nähe der Stadt Dongsheng begonnen. Dongsheng war bis vor kurzem eine arme Bezirksstadt am Gelben Fluss. Dann entdeckten Geologen um das Jahr 2000 riesige Kohle- und Gasvorkommen. 15 Prozent der Kohle- und 30 Prozent der Erdgasvorkommen des Landes sollen sich hier befinden.
Dongsheng, das war nach diesem Fund klar, musste wachsen. Die Planer entwarfen eine Schwesterstadt, die eigentlich Kangbashi heisst, aber den Übernamen New Ordos erhielt. Sie liegt 25 Kilometer südlich von Dongsheng. Die beiden Ballungsräume sollten den Nord- und den Südpol einer Metropole bilden, der Zwischenraum soll bis 2020 mit Industrieanlagen und Vorstadtsiedlungen gefüllt werden. Selbst der chinesische Künstler Ai Weiwei, der in Europa als Regimekritiker bekannt ist, unterstützte den Grössenwahn. Er lancierte das Projekt «Ordos 100» und lud 100 Nachwuchsarchitekten aus aller Welt ein, für die Stadt 100 Villen zu entwerfen – Prunkbauten, die nur Reiche würden bezahlen können.
Das Projekt sei geglückt, heisst es von offizieller Seite, alle Wohneinheiten von New Ordos seien verkauft. Schätzungen zufolge leben aber nur 5000 Einwohner in der Stadt, die eigentlich für 300'000 Menschen konzipiert ist. Bauarbeiter erzählten westlichen Medien, dass die Stadt teilweise schon wieder zerfalle. Offenbar wurde bei den Baumaterialien gespart, und die klimatischen Bedingungen in der Inneren Mongolei geben New Ordos wohl den Rest. An den eben erst fertiggestellten Wohnhäusern sollen bereits Rostflecken zu erkennen sein. Diese Erfahrungen halten China aber offenbar nicht davon ab, weitere Retortenstädte aus dem Boden zu stampfen. Siedlungen wie New Ordos werden zurzeit im ganzen Land in Serie produziert – auch wenn sie nicht ganz so prunkvoll konzipiert sind wie jene im Niemandsland in der Inneren Mongolei.
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