Nordkoreas neue ScharfmacherinDie Schwester des Diktators lanciert ihre erste Krise
Um Staatschef Kim Jong-un ist es gerade seltsam still. Seine jüngere Schwester Kim Yo-jong ist die Stimme der neu entflammten Feindschaft mit Südkorea.

Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un ist gerade seltsam still. Seine jüngere Schwester Kim Yo-jong ist die Stimme der neu entflammten Feindschaft zwischen dem kommunistischen Regime und dem demokratischen Süden der Koreanischen Halbinsel. Sie hat die Sprengung des gemeinsamen Verbindungsbüros in der grenznahen Stadt Kaesong angekündigt. Sie überzieht Südkoreas Regierung in den Staatsmedien wiederholt mit Vorwürfen und Beschimpfungen. Es ist eine Demonstration ihrer gewachsenen Macht. Und eine mit hohem Symbolgehalt.
Im Februar 2018 war Kim Yo-jong noch das Gesicht der Annäherung. Damals schickte ihr Bruder sie zu den Olympischen Spielen in Pyeongchang, Südkorea. Kim Yo-jong war schon seine Propagandabeauftragte und schaffte es, dass die Diktatur zum ersten Mal auf einer Weltbühne sympathisch wirkte. Sie lächelte, schüttelte die Hand des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in, hinterliess eine Botschaft der Freundschaft. Es folgten: weitreichende Vereinbarungen mit dem Süden, das erste Treffen Kim Jong-uns mit US-Präsident Donald Trump, die Eröffnung des Büros für den innerkoreanischen Austausch. Tauwetter nach jahrzehntelangem Frost.
«Ich habe das Gefühl, dass es höchste Zeit wird, mit dem Süden zu brechen.»
Vorbei. Nordkorea ist frustriert, weil die bessere Beziehung zum Süden keine wirtschaftlichen Vorteile gebracht hat. Der Dialog mit den USA scheiterte im Februar 2019 in Hanoi, als Kim Jong-un Nordkoreas nukleare Abrüstung nur gegen die Aufhebung sämtlicher internationaler Sanktionen zulassen wollte. Kim Yo-jong, die bei den Friedensverhandlungen immer an der Seite ihres Bruders war, schien danach erst einmal dessen Gunst verspielt zu haben und war wochenlang nicht zu sehen. Im Juni 2019 kehrte sie zurück ins Rampenlicht. Jetzt ist Kim Yo-jong die Scharfmacherin. «Ich habe das Gefühl, dass es höchste Zeit wird, mit dem Süden zu brechen», sagte sie zuletzt.

Ihre kraftvollen Auftritte fallen in eine Zeit, in der Nordkorea eigentlich nicht kraftvoll ist. Das Coronavirus ist eine besondere Bedrohung für das schlechte Gesundheitssystem des Landes. Ausserdem gibt es immer noch Spekulationen über das Befinden von Kim Jong-un, weil dieser seit Wochen nur vereinzelt öffentlich auftritt. Kim Yo-jong führt in dieser Situation das Wort – das deuten viele so, dass sie Kim Jong-un nachfolgen würde, falls dieser aus gesundheitlichen Gründen abtreten müsste. Mit ihrer vornehmen Blässe und schlanken Gestalt wirkt sie wie die Gegenfigur zum fülligen, tapsig wirkenden Bruder, der starker Raucher und Diabetiker sein soll.
In Bern zur Schule gegangen wie der Bruder
Wer sie genau ist? Schwer zu sagen. Das Regime hat eine strenge Informationspolitik, die wenig Klarheit schafft. Widersprüchlich zum Beispiel sind die Angaben zu Kim Yo-jongs Geburtsdatum: Mal ist sie 32, mal 30. Angeblich ist sie mit einem Regierungsbeamten verheiratet und hat ein Kind. Wie Kim Jong-un besuchte sie in jungen Jahren die Liebefeld-Steinhölzli-Schule in Bern; daher soll auch das enge Verhältnis zum Bruder kommen.
Kopf hinter dem Personenkult um Kim Jong-un
Ihr Vater, Ex-Staatschef Kim Jong-il, sagte 2002 zu ausländischen Gesprächspartnern, dass seine jüngste Tochter politisch interessiert sei. Sie bewährte sich als dienstbarer Geist im System und schlug sich früh auf die Seite des jungen, anfangs nicht unumstrittenen Erben Kim Jong-un. 2017 berief dieser sie erstmals ins mächtige Politbüro der Arbeiterpartei. Sie soll der Kopf hinter dem Personenkult um Kim Jong-un sein. Sie weiss, wie man mit Wort und Bild die Massen beeinflusst.
Deshalb glauben manche Experten auch, dass sie tatsächlich an die Spitze kommen könnte. Die alten Parteikader sind Frauen in Führungspositionen nicht gewohnt, schon gar nicht junge Frauen. Auch die Menschen im Land dürften murren. Aber wenn Kim Yo-jong ihr Können und ihre Volksverbundenheit gut inszeniert, könnte der Aufstieg gelingen. Dass sie keine weiche Staatschefin wäre, beweist sie ja gerade.
Fehler gefunden?Jetzt melden.