Killian Peier an der VierschanzentourneeDie Schoggi isst er jetzt ohne schlechtes Gewissen
Nach einer schweren Verletzung ist der Skispringer zurück – mit dem Potenzial, an der Vierschanzentournee zum Favoritenschreck zu werden.

Killian Peier kann ganz schön hart zu sich sein: Als er nach schwachen Leistungen unzufrieden mit sich war, nahm er seine WM-Medaille von 2019 aus dem Büchergestell und versteckte sie im Schrank.
Passend dazu sagte er in der NZZ: «Manchmal sehe ich das Schöne nicht, dann drehe ich in einer negativen Spirale. Deswegen muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass ich fit und parat bin. Ich muss den kleinen Teufel auf meiner Schulter dazu bringen, die Klappe zu halten.»
Das hat Peier zuletzt derart gut verstanden, dass er sich in der kleinen Skispringerszene zur Sensation entwickelte. Der Grund: Der 26-Jährige kehrte innert eines Jahres nach seinem vorderen Kreuzbandriss am rechten Knie so erfolgreich in den Weltcup zurück, dass er an der Vierschanzentournee im Minimum ein aussichtsreicher Mitflieger ist. Zuletzt klassierte er sich in Engelberg zweimal als Vierter.
Dabei taten sich Grössen seines Sports wie Severin Freund, Olympiasieger und Weltmeister, nach derselben schweren Verletzung sehr, sehr schwer, erneut in die Spitze vorzustossen – und schon gar nicht in der Zeit, die Peier vorlegte.
Der lange Weg um den Sempachersee
Wer darum das Phänomen Peier ergründen will, kommt neben vielen anderen Helfern um einen Namen nicht herum: Othmar Buholzer, einst Handball-Nationalspieler, dann führender Trainer-Ausbildner und Athletenbetreuer. Für Peier ist er Mann für fast alles und väterlicher Freund.
Als Peier vor vier Jahren gar zu schlecht war, um sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, kam er auf Buholzer zu. Der Luzerner wollte mit ihm erst einmal die 22 Kilometer um den Sempachersee laufen. Denn nur wenn Buholzer ein Gespür für einen Menschen bekommt, weiss er, ob er helfen will und kann.

Nach dem langen Gespräch war ihm klar: Er wollte. Er sah in Peier, was dieser nicht mehr erkennen konnte: einen möglichen Topskispringer. Dafür aber musste Peier bereit sein, mit Buholzer eine Reise anzutreten, die auch Schmerzen würde.
Schliesslich gab es im Leben von Peier so manchen Stolperstein wegzuräumen, oder wie es Buholzer sagt: «Als ich Killian kennen lernte, war er unsicher und auch unselbstständig, bewegte sich in einer Komfortzone. Wollte er erfolgreich werden, musste er sie verlassen.»
Das begann schon beim Essen. Peier lebte in einer WG im Schweizer Skisprungzentrum in Einsiedeln, der Gang zum Take-away war keine Ausnahme. Und weil Peier wusste, dass er sich wenig vorbildlich verhielt, hatte er beim Schokoladeessen erst recht ein schlechtes Gewissen.
Zumal Skispringer sehr dünne Burschen sein müssen, wenn sie weit fliegen wollen. Was sie sich einverleiben, ist darum stets Thema. Buholzer also musste Peier auch davon befreien, Schokolade als Sünde zu sehen – und als freudiges Ereignis in Form einer Belohnung.
Aber die Lebensschule endete keineswegs beim Essen und dem Lernen, wie man selber gesund kocht, weil Buholzer ein Umfeldoptimierer ist – also alle wesentlichen Aspekte eines Sportlerlebens anpackt.
Nach dem Kreuzbandriss orchestrierte Buholzer beispielsweise Peiers kompletten Weg zurück an die Spitze. Denn es gibt nach der ersten Rekonvaleszenzphase keine Blaupause, wie ein Skispringer möglichst rasch und fit wieder von den grossen Schanzen fliegt.
Fliegen – ganz ohne Ski und Anzug
Also mussten Buholzer, Peier und die weiteren Betreuer improvisieren. Etwa: Peier stellte sich seinen Flug immer und immer wieder vor. So kam er in der kompromittierten Olympiavorbereitung zwar nur auf 120 tatsächliche Sprünge, aber daneben auf über 300 mittels Kopfkino.
Oder: Als Peier auf die Schanzen zurückkehrte, fuhr er erst nur den Aufsprunghang hinunter, tastete sich dann über Kinderschanzen peu à peu an die Profianlagen heran – bis er sich sicher genug war, wieder mit 90 km/h in dieses Nichts zu sausen.
Peiers erfolgreicher Irrtum
Dass Killian Peier zuletzt darum verblüffte, ist auf harte und zugleich smarte Arbeit zurückzuführen. Und natürlich darauf, dass er neugierig genug war, sich auf diesen speziellen Weg des Sportweisen Othmar Buholzer einzulassen.
Dazu zählt auch: Skispringen in einem Alpinanzug, der Peier in der Luft kaum trägt und ihn technische Defizite sofort spüren lässt. Auch darum dachte Killian Peier zu Beginn manchmal: «Was sind das für Ideen? Das mache ich nie!» Wie man sich doch erfolgreich irren kann.
Christian Brüngger ist Redaktor, kam mit 23 Jahren zum Sport-Ressort, reiste lange durch die (Sport-)Welt und sitzt nach der Geburt des ersten Buben vermehrt auf dem Bürostuhl. Schreibt gerne im Grenzbereich zwischen Sport und Gesellschaft. Studierte Geschichte und Filmwissenschaften in Zürich.
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