Fake QuotesDie schönsten falschen Zitate
Verdreht, geglättet, erfunden, Manch grosse Lebensweisheit wurde nie so gesagt, wie sie überliefert ist.

Berühmte Menschen leisten nicht nur Grosses in Kunst, Wissenschaft oder Politik, sie geben auch noch dauernd Weisheiten von sich.
So sollte man meinen. Unser Zitatenschatz ist jedenfalls voller Einzeiler, die einst aus einem berühmten Mund purzelten, doch heute von Hinz und Kunz zitiert werden, in welcher Lebenslage auch immer. Zum Beispiel:
«Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben».
Nur: Die Wirklichkeit ist oft widersprüchlicher. Manch grosser Künstler kann schlecht reden, und dem Staatsmann fällt oft nichts Gescheites ein, wenn es drauf ankommt.
Die ganz Grossen erhalten dann aber Hilfe von Bewundern, Nachkommen und eifrigen Biografen. Diese verkürzen dann ihr Gerede, sie dampfen verhaspelte Sätze ein zur kernigen Sentenz. Ein Schulbeispiel bietet – eben – Michail Gorbatschows legendärer Satz.
Gewiss, der Staatschef der Sowjetunion wollte beim Besuch in Ostberlin 1989 den greisen DDR-Funktionären in etwa mitteilen: Bewegt euch, sonst überrollt euch die Geschichte. Also sagte er sinngemäss und vor laufenden Kameras: «Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.»
Das war alles andere als ein Satz für die Ewigkeit. Dieser wurde erst am Tag danach entwickelt, bei einem Gespräch von Russlands Regierungssprecher Gennadi Gerassimow mit deutschen Journalisten – quasi im Pingpong-Verfahren: «Was hat er da gesagt? Was hat er gemeint?» Als der Satz dann rund war, war der schlaue Gerassimow gern bereit, ihn als Zitat seines Chefs abzusegnen.
Wir sehen: Die Nachwelt biegt manchmal eine Aussage gerade – selbst wenn Tonbandaufnahmen beweisen, dass es sie in dieser Form gar nicht gab. Das zeigt auch eine berühmte Umschreibung schwerer Zeiten aus dem Jahr 1940:
«Blood, Sweat and Tears»
Der neue Premierminister versprach seinem Volk in der Tat viel Blut und viele Tränen, aber er tat es nicht im elegant springenden Dreisatz. Sondern er fügte den Körperflüssigkeiten noch die «Rackerei» hinzu («Toil»), was das Ganze nicht nur etwas diffuser machte, sondern auch holpriger.
Dem Volksmund war das zu behäbig, also glättete er Sir Winstons sperrige Liste kurzerhand ein.
Solche Fälle sind noch harmlos. Öfter jedoch geht es darum, die berühmte Persönlichkeit kurzerhand zu missbrauchen – als Zeuge eigener Ansichten. Die Schweiz hat dafür ein legendäres Fallbeispiel:
«Machet den Zaun nicht zu weit!»
Der Satz des Nationalheiligen wird bis heute gern als aussenpolitische Leitplanke herangezogen. Nur: Von Bruder Klaus stammt das nicht. Der Luzerner Gerichtsschreiber Hans Salat legte den Ratschlag dem Eremiten 1537 in den Mund – ein halbes Jahrhundert nach dessen Tod. Der Luzerner wollte mit seinem erfundenen Zitat auch keineswegs die Eidgenossenschaft auf einen Neutralitätskurs bringen; vielmehr ging es ihm darum, das reformierte Genf draussen zu halten.
Guter Satz, weiser Mann: Ähnlich missbräuchliche Kombinationen finden sich in den Naturwissenschaften, die ja ebenfalls viele eindrückliche Sentenzen zu bieten haben:
«Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.»
Die Behauptung taucht erstmals 1939 auf, damals noch allgemein «einem der berühmtesten Naturforscher» zugeschrieben. Dann, knapp drei Jahrzehnte später – Einstein ist inzwischen tot –, rechnet eine Bienen-Fachzeitschrift eins und eins zusammen: Wer war wohl der berühmteste Naturforscher? Kann ja nur der Einstein gewesen sein …
Und dann dauerte es noch mal etwa drei Jahrzehnte, bis sich die Bienlein-Prognose in den Neunzigerjahren verselbstständigte und zur Pop-Weisheit für allerlei Graffiti, Demos, Ansprachen und Spitzmarken wurde. Und zwar je länger, desto weniger hinterfragt mit der Signatur: Albert Einstein.
So recherchierte es der Journalist Martin Rasper, der unlängst ein wunderbares «Buch der falschen Zitate» vorgelegt hat. Bereits im Titel legt Rasper ein berühmtes Beispiel vor:
«No Sports!»
Nonsense. Der britische Premier, nach den Gründen für sein langes Leben befragt, hat nicht so geantwortet. Jedenfalls nicht vor Zeugen. Aber für unsportliche Menschen ist es halt ein schöner Trost, dass ein übergewichtiger Alkoholiker und Kettenraucher nicht nur zum Retter Europas werden kann, sondern obendrein steinalt.
Figuren der Prominenz- und Intelligenz-Liga eines Goethe oder Shakespeare, Einstein oder Churchill sind speziell beliebte Kandidaten für falsch gemünzte Zitate. Ein weiteres Beispiel, das Martin Rasper entdeckte:
«Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.»
Der Fall ist speziell bemerkenswert, weil das Zitat in England selbst völlig unbekannt ist. Oder anders: Es ist ein deutsches Zitat, das quasi zur Aufwertung über den Ärmelkanal geschmuggelt wurde. Martin Rasper vermutet in «No Sports», dass die Darstellung von Churchill als «Lügenmonster» durch die Nazi-Propaganda hier eine Rolle spielte. Und dass dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, ein beliebter Spruch dem siegreichen Premier aufgepfropft wurde.
Das Muster klappte auch bei einem – an sich – korrekten Churchill-Zitat:
«Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen, abgesehen von allen anderen.»
Zwar sagte er das nachweislich 1947 im Unterhaus, nur führte Churchill selbst an, dass es ein Zitat aus früheren Zeiten sei: «It has been said that …»
Wir lernen also: Es ist umgekehrt. Kernige Sprüche suchen sich berühmte Mütter oder Väter. Sie lassen sich adeln und weitertragen, indem sie sich einer prominenten Figur anhängen.
Die ganz starken Beispiele resümieren allerdings perfekt, was die grosse Person selbst geglaubt hat, also gesagt haben könnte:
«Der Zweck heiligt die Mittel.»
Der florentinische Diplomat hat diesen Satz nicht gesagt oder geschrieben – aber kein Zweifel: Sein «Il Principe» ist eine Abhandlung, die wieder und wieder um diese Einsicht kreist. Da wird also einem ein Fazit aufgepfropft, welches zum Gesamtwerk passt. Ähnlich war es wohl auch beim berühmtesten aller Luther-Zitate:
«Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.»
Es ist, so fand Martin Rasper heraus, eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Die aber ganz gut zum bodenständigen und vorpreschenden Geist des Reformators passt.
Das Prinzip klappt auch umgekehrt: Wir können eine berühmte Persönlichkeit abwerten, indem wir ihr eine Unsäglichkeit in den Mund legen. Ein falsches Zitat ruiniert zum Beispiel den Ruf einer französischen Königin bis heute.
«Sollen sie doch Kuchen essen!»
Damit, so dachten wir doch, reagierte die französische Königin auf die Meldung, dass das Volk hungere und nach Brot ruft. Aber Jean-Jacques Rousseau schrieb den Ausspruch bereits 1766 einer anonymen Prinzessin zu – als Marie Antoinette noch ein kleines Mädchen in Wien war. Und populär gemacht wurde die «Qu’ils mangent de la brioche!»-Anekdote erst nach ihrer Hinrichtung.
Der arrogante Satz diente also zur Abwertung des Adels vor der Revolution – sowie als nachträgliche Rechtfertigung dafür, dass man die Königin 1791 einen Kopf kürzer gemacht hatte.
Gerade gute Künstler sind stark darin, im Grenzbereich zwischen Plagiat und Zitat eine neue, eigene Weisheit zu finden. Denn es ist doch so:

Schlechte Künstler imitieren, grosse stehlen: Skulptur von Banksy im Museu Picasso, Barcelona (Bild: Wikimedia Commons).Nur falls es Sie noch interessiert: Der Ursprungssatz stammt nicht von Picasso … Und wie es sich mit diesem Banksy verhält, ist ja auch eine offene Frage.
Und so sind grosse Zitate oft vor allem grosse Lügen und nur halbe Wahrheiten. Aber das erstaunt uns ja nicht, wissen wir doch:
«Die Wahrheit ist zu schlau, um gefangen zu werden.»
Oder ist das nicht von Wilhelm Busch?
Dieser Artikel wurde erstmals am 20. Februar 2018 publiziert und am 12. Mai 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
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