Reinacher FinanzpolitikDie Regierung bläst ihre eigene Steuererhöhung ab
Am Montagabend hätte der Einwohnerrat ein zweites Mal über das Geschäft abstimmen sollen. Doch der Gemeinderat, der den Antrag stellte, machte kurz zuvor eine Kehrtwende.

Csaba Zvekan traute am vergangenen Samstag seinen Augen nicht, als er vom Reinacher Gemeindepräsidenten Melchior Buchs (FDP) eine Mail mit der Aufforderung erhielt, am Montagabend an der Einwohnerratssitzung die vom Gemeinderat beantragte Steuererhöhung über 2,5 Prozentpunkte abzulehnen. Die Reinacher Regierung blies somit zwei Tage vor der entscheidenden Abstimmung ihre eigene Steuererhöhung ab. Für den Reinacher SVP-Präsidenten und Einwohnerratsvizepräsidenten Zvekan ist das «eine unglaubliche Geschichte».
Die Mail des Gemeindepräsidenten, die an sämtliche Fraktionspräsidien ging und der BaZ vorliegt, hat es in sich. Buchs schreibt: «In der Zwischenzeit ist die Erarbeitung des Jahresabschlusses 2021 so weit fortgeschritten, dass wir das definitive Ergebnis sehr genau kennen. Statt des budgetierten Verlusts von gut 9 Millionen Franken wird die Jahresrechnung mit einem kleinen Verlust von gut 400’000 Franken abschliessen, ohne dabei gebildete finanzpolitische Reserven aufzulösen.»
Zum Vergleich: In der Jahresrechnung 2020 resultierten Einnahmen von rund 93 Millionen Franken. Das Jahresergebnis 2021 liege sogar leicht über dem Best-Szenario, das man im Jahresentwicklungsplan erarbeitet habe, so Buchs.
Trotz der massiven Abweichung vom Budget verteidigt der Gemeindepräsident das vorsichtige Vorausplanen aufgrund der Corona-Pandemie. Der verbesserte Jahresabschluss resultiert aus höheren Steuereinnahmen von rund 6 Millionen Franken und tieferen Ausgaben.
Weiteren Fehler verhindert
Der Gemeinderat habe am Freitagabend die neue Situation kurzfristig besprochen, erklärt Melchior Buchs in seiner Mail weiter, und: «Aus unserer Sicht kann für 2022 auf die vom Gemeinderat beantragte Erhöhung des Steuersatzes auf 57 Prozent verzichtet werden.»
Dass ein Gemeinderat zwei Tage vor einer Abstimmung seine eigene Steuererhöhung abbläst, ist schon an sich eine aussergewöhnliche Wendung. Dass dies zwei Tage vor einer Sitzung geschieht, die eigentlich gar nicht hätte stattfinden sollen, macht das Ganze noch aussergewöhnlicher.
Denn die Abstimmung vom Montag über den Steuerfuss 2022 wurde nur nötig, weil an der Einwohnerratssitzung im Dezember, als das Gremium der Steuererhöhung eigentlich zugestimmt hatte, nicht genau ausgezählt, sondern nur geschätzt wurde, wie viele Ratsmitglieder mit Ja gestimmt hatten.
Diesen Fauxpas meldeten zwei Reinacher Einwohner und drohten mit dem Gang zum Baselbieter Regierungsrat. Denn für eine Steuererhöhung braucht es im Einwohnerrat eine Zweidrittelmehrheit. Nur dank diesem Fehler wird nun wohl ein anderer Fehler verhindert– was die beantragte Steuererhöhung anscheinend gewesen wäre.
Zerstörtes Vertrauensverhältnis
Weil die Wiederholung der Abstimmung keine neuen Anträge zulässt, empfiehlt der Gemeinderat dem Einwohnerrat nun also die Ablehnung der Erhöhung. Das möge komisch wirken, schreibt Buchs weiter. «Wir fühlen uns aber der Sache verpflichtet und wollen die Bevölkerung nicht unnötig mit zusätzlichen Steuern belasten.»
Trotz der positiver ausgefallenen Jahresrechnung herrsche aber nicht eitel Sonnenschein, stellt der Reinacher Gemeindepräsident am Ende seines Schreibens klar – Reinach hat bereits auf das vergangene Jahr hin den Steuerfuss um 2 Prozentpunkte auf 54,5 Prozent erhöht und kürzlich ein Sparpaket mit einem Volumen von knapp einer Million Franken jährlich geschnürt.
SVP-Präsident Csaba Zvekan ist fassungslos: «Für mich ist es fragwürdig, wie man so mit Zahlen jonglieren kann. Wie kann es sein, dass man innerhalb von 60 Tagen 9 Millionen Franken in der Schublade oder im Zauberhut gefunden hat?» Zvekan spricht damit an, dass Präsident Buchs noch Anfang Januar nichts dergleichen andeutete.
Die SVP hat sich gemeinsam mit den Grünen im Dezember gegen die Steuererhöhung ausgesprochen und sieht sich nun bestätigt. Für Zvekan ist das Vertrauensverhältnis zum Gemeinderat zerstört. «Wie soll man in Zukunft glauben, was uns der Gemeinderat für Zahlen vorlegt?» Hinter vorgehaltener Hand werde der Rücktritt von Gemeindepräsident Melchior Buchs gefordert, berichtet Zvekan.
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