Die Probleme an der US-Grenze nehmen zu
Die Grenze zu Mexiko ist zum politischen Spielball geworden. Die Demokraten müssen nun überzeugende Antworten finden.

Ein sagenumwobener Ort ist die Grenze: Ein durchlässiges Gebilde zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten ist sie, und doch eine Demarkationslinie zwischen der angelsächsischen und hispanischen Welt. The border, la frontera: Gesetzlosigkeit hängt diesen Worten an, 1969 blutrünstig ausgeschlachtet von Sam Peckinpah in seinem klassischen Western «The Wild Bunch».
Oder von Steven Soderbergh in «Traffic», einem Film über den Drogenhandel entlang der Grenze.
Die Grenze aber ist zugleich Hoffnung, wie der Film «El Norte» 1983 so eindringlich zeigte. Denn nördlich der Grenze beginnt das gelobte Land für Migranten aus Lateinamerika, für Papierlose, Asylanten und Desperados.
Jetzt ist die Grenze wieder einmal zu einem politischen Spielball geworden, einem Bollwerk in den Augen eines Präsidenten, der die Einwanderung zur Chefsache gemacht hat und so tut, als könne er die demografische Uhr zurückdrehen und seine Nation wieder zu der machen, die sie einmal war: überwiegend weiss und bewohnt von den Abkömmlingen Europas.
«Als Nächstes wird die Grenze geschlossen.»
Donald Trump hat der Grenze viel zu verdanken. Sie hatte Anteil an seinem Aufstieg. Denn es war ihre Durchlässigkeit, die den Zorn vieler Wähler erregte. Die Ängste dieser Wähler zu ignorieren, hilft ebenso wenig wie die Panikmache des obersten Grenzschützers im Weissen Haus.
Seine Mauer mag ein Hirngespinst sein, die Probleme längs der Grenze aber nehmen zu. Über 100'000 Migranten wurden im März verzeichnet, 40'000 Kinder und Jugendliche in Gewahrsam genommen.
Trumps Antwort darauf ist eine Drohung: Er möchte die Grenze dichtmachen. «Unsere Auffanglager sind voll, und wir werden keine Illegalen mehr aufnehmen, als Nächstes wird die Grenze geschlossen», twitterte er am Montag. Es sei ihm «ernst damit».
Sein Migrationsberater und Scharfmacher Stephen Miller will die Länder Zentralamerikas, woher die meisten Migranten kommen, in die Pflicht nehmen. Nur so könnten die «wertlosen Asylansprüche» eingedämmt werden, sagt er.
Die USA tragen eine Mitschuld
Was aber ist wertlos und was ist nicht wertlos? Honduras, Guatemala und El Salvador sind die Heimat der meisten, die auf die Grenze zustreben. Gewalt, Armut und kriminelle Banden prägen den Alltag dieser Verzweifelten. Die USA tragen daran Mitschuld. Zentralamerika war immer ihr Hinterhof, eine Sammlung von Bananenrepubliken, in denen Schmuddelkinder lebten und Autokraten von Gnaden Washingtons regierten. Mucksten die Bewohner auf, war die CIA zur Stelle.
Trump wirft dem armseligen Trio vor, nicht genug gegen die Auswanderung zu tun. Er möchte deshalb 500 Millionen Dollar US-Hilfsgelder für die Region streichen – was die Lage verschlimmern wird. Es werden noch mehr Verzweifelte versuchen, das gelobte Land zu erreichen. Auch wenn Trump die Grenze schliessen sollte. Dann werden sich die Migranten durch die Wüsten in Texas und Arizona schleppen. Sie werden über den Rio Grande schwimmen und in kleinen Booten an der kalifornischen Küste landen. Manche werden dabei sterben.
Waren sind wichtiger als Menschen
Leiden werden auch die Gemeinschaften zu beiden Seiten der Grenze, falls Trump seine Drohung wahr macht. Denn la frontera ist ein lebender Organismus, die Grenze ein künstliches Hindernis nur beim Hin und Her der Menschen.
Die amerikanische Handelskammer hat Trump vor der Schliessung der Grenzübergänge gewarnt: Es wäre «eine ökonomische Katastrophe». Denn über die Grenze wird befördert, was die amerikanische Wirtschaft braucht. Und was die Amerikaner essen: Avocados. Himbeeren und Erdbeeren. Spargel. Zucchini und Tomaten. Bald wären Früchte und Gemüse in US-Supermärkten ausverkauft. Am Dienstag suchten Mitarbeiter des Präsidenten deshalb nach Wegen, nur den Personen-, nicht aber den Warenverkehr über die Grenze zu stoppen. Waren sind offenbar wichtiger als Menschen.
Trumps Basis wäre entzückt, wenn Spargel und Erdbeeren, nicht aber Menschen die Grenze überqueren könnten. Und ihr Idol hätte es einmal mehr allen gezeigt: 3144 Kilometer ohne Personenverkehr!
Schimpfen gegen die Mauer reicht nicht mehr aus.
Auch die Demokraten sind jetzt gefordert. Gegen Trumps Mauer zu schimpfen, reicht nicht mehr aus. Wie wäre es mit einem «Marshallplan» für Honduras, El Salvador und Guatemala, wie ihn der demokratische Präsidentschaftskandidat Julian Castro vorschlägt? Wie mit einer umfassenden Reform der Einwanderung, die auch das Asylrecht überarbeitet? Oder mit einer Legalisierung aller sich im Lande befindenden Sans-Papiers?
Den Kopf in den Sand stecken können die Demokraten nicht mehr. Besonders in den Staaten des Mittleren Westens ist die Zuwanderung aus dem Süden ein heisses Thema. Und Trump war 2016 gerade dort stark. Er wird es 2020 wieder sein, wenn die Demokraten keine überzeugenden Antworten finden.
Am Freitag wird Trump die Grenze besuchen. Er wird neuerlich Stimmung gegen Migranten machen und behaupten, er könne die Grenze kontrollieren. Er kann es nicht. Weiss Trump, dass es diese Grenze erst seit dem schändlichen Krieg US-Amerikas gegen Mexiko von 1846 bis 1848 gibt? Der Feldzug war ein Vorläufer des Kriegs gegen den Irak im Jahr 2003, eine Übung im Lügen, in Machismo und patriotischem Geheul. Sie kostete Mexiko die Hälfte des Staatsgebiets.
Seitdem existiert la frontera, diese mythische Pforte zum Norden.
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