
Im Zweifel für den Angeklagten – dieser kostbare juristische Grundsatz muss selbstverständlich auch für den australischen Kardinal George Pell gültig sein. Der frühere Finanzchef des Vatikans hat stets beteuert, unschuldig zu sein, die ihm vorgeworfenen sexuellen Missbrauchstaten nicht begangen zu haben. Die Beweise der Anklage erschienen den Richtern trotz eines Schuldspruchs in der vorigen Instanz nach all den Jahren nun zu dünn: Pell ist seit heute wieder ein freier Mann.
Und doch hinterlässt der Freispruch von Brisbane ein ungutes Gefühl, nicht nur, weil Kardinal Pell sich in seiner langen Kirchenkarriere immer wieder zumindest fragwürdig verhalten hat, wenn es um das Thema Missbrauch ging. Es ist tragisch, dass nun bei einem Verfahren in dieser so sensiblen Materie offenbar in der Vorinstanz juristisch ein bisschen geschlampt wurde – ob zu Pells Gunsten oder gegen ihn, ist dabei im Grunde egal.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Papst den Fall von George Pell mit der Verfolgung Jesu verglich.
Denn es stand noch nie ein so hoher Kirchenmann wegen sexuellen Missbrauchs vor einem weltlichen Gericht, und deshalb war der Prozess von besonderer Symbolik. Und jene, die, wo auch immer, Opfer kirchlichen Missbrauchs wurden, mussten so lange warten, bis die Verbrechen an ihnen ans Licht und vor die Gerichte kamen, dass man ihnen die höchstmögliche Sorgfalt sämtlicher Verfahrensbeteiligter schuldig ist.
Und natürlich litt der Prozess auch unter dem Fluch, den die jahrzehntelange Vertuschung solcher Verbrechen für so viele Missbrauchsverfahren bedeutet – nach einem Vierteljahrhundert sind Beweisführung und Zeugenvernahmen unendlich schwierig. Dass der Vatikan sich nun erleichtert zeigt, ist nachzuvollziehen. Dass aber der Papst, auch wenn er seinen alten Vertrauten Pell nicht nannte, in seiner Morgenmesse einen Vergleich mit der Verfolgung Jesu zog, ist nicht nachvollziehbar. Was man nun von Pell zumindest erwarten kann, ist die Demut, sich ganz zurückzuziehen. Eine Rückkehr nach Rom wäre auch eine Belastung für die Kirche.
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Kirche und Missbrauch – Die Opfer hätten einwandfreie Verfahren verdient
Der Freispruch von Kardinal George Pell hat einen bitteren Beigeschmack.