
Bügeln sei überflüssig, sagt die Kollegin, «schön aufhängen reicht». Bügeln sei ungesund, sagt der Physiotherapeut, «mit lädiertem Rücken sollte man sich das nicht zu oft antun». Bügeln ist schlimmer als Badezimmerputzen: Das ergab letztes Jahr eine Homegate-Umfrage.
Und: Bügeln ist wirklich die frustrierendste aller Hausarbeiten, denkt man selbst, während man doch wieder einmal vor dem öden Brett steht. Wäre Sisyphos keine mythische Figur, sondern ein Zeitgenosse – er müsste keinen Felsbrocken endlos den Berg hinaufschieben, er bekäme einen Wäschekorb hingestellt. Der Inhalt würde täglich nachwachsen, und was er sauber gefältelt in die Schränke legen würde, wäre spätestens nach einem Tag zerknüllt, weil irgendjemand unbedingt das zweitunterste T-Shirt herauswursteln musste.
Kein Wunder also, ist die raffinierte Aufhängetechnik bei weitem nicht die einzige Alternative, die propagiert wird. Längst gibt es (scheinbar) bügelfreie Stoffe und (scheinbar) entknitternde Waschgänge, und das Netz ist voll von fantasievollen Tipps wie diesem: Man zieht die zerknautschte Bluse an, besprüht sie (und damit sich selbst) mit Wasser und trocknet das Ganze dann mit dem Föhn, am besten von innen heraus. Das dauert zwar länger und ist bestimmt nicht bequemer als bügeln – aber immerhin hat man vermieden, was man vermeiden wollte.
Herr und Frau Schweizer lassen viel Geld springen, um wenigstens den Job faltenfrei zu erledigen.
Nur: Irgendwie sieht man den Unterschied eben doch, und vor allem ausserhalb der Bürozonen machen sich die Folgen der allgemeinen Bügelphobie inzwischen deutlich bemerkbar: Die Menschheit zerknittert. Nicht im Gesicht, dort tut man ja alles gegen Falten, aber im textilen Bereich. Selbst bei jenen, die gebügelt aussehen, schaut man besser nicht genauer hin, denn viele von ihnen verhalten sich schlaumeierisch, nach dem Motto: Kragen reicht, wenn der Rest sowieso unter dem Pulli bleibt.
Ist das nun einfach pragmatisch? Oder eher stillos? Vor allem ist es ein erstaunlich rascher Abschied von einer alten Kulturtechnik. In China wusste man schon vor über 2000 Jahren, dass Seidenstoffe gebügelt besser zur Geltung kommen. Und auch in europäischen Museen finden sich kiloschwere Eisen, die man in vergangenen Jahrhunderten gefüllt mit glühenden Kohlen über die Stoffe wuchtete. Da kamen zum schmerzenden Rücken dann zweifellos auch ein paar Brandblasen.

Nicht bei den Herrschaften allerdings. Die hatten Personal – und viele haben es immer noch. Sie lassen die Putzhilfe bügeln oder tragen die Wäsche in die Reinigung. Zu Hunderten hängen dort die weissen Hemden auf der Stange, dazwischen ein paar hellblaue, da und dort ein Deux-Pièces: Herr und Frau Schweizer lassen viel Geld springen, um wenigstens den Job faltenfrei zu erledigen. In der Freizeit kommt es offenbar weniger drauf an; jedenfalls hängen in den Reinigungsfilialen fast ausschliesslich Bürotextilien.
Auch ungebügelte Kleider machen Leute
Was sagt das nun über uns? Über unser Selbstverständnis, unser ästhetisches Empfinden, unsere Weltsicht? Vermutlich mehr, als man auf Anhieb erwarten würde. Zum Beispiel dies: Das Effizienzdenken ist beim Kleiderschrank angekommen. Wir tun für ein gepflegtes Outfit exakt so viel, wie es der Job verlangt – aber kein bisschen mehr.
Oder auch dies: Die Bevölkerung ist gestresst, unter Zeitdruck, immer auf der Suche nach Dingen, die man weglassen kann. Beim Zähneputzen empfiehlt es sich nicht, beim Bügeln tut es auch langfristig nicht weh. Und während man die verpasste Dusche einen ganzen Tag lang riecht, streckt sich der zerknüllte Pulli in der Regel irgendwann. Mit ein bisschen Geduld erfüllen sich so die ästhetischen Ansprüche von selbst.
Aber der wichtigste Grund für die Bügelverweigerung ist wohl dieser: Auch ungebügelte Kleider machen Leute. Wer sich zerknautscht präsentiert, setzt ein Statement. Ich bin auch ohne Bügelfalte jemand, signalisiert er (oder sie), nämlich ein unkomplizierter, spontaner, jugendlicher oder zumindest jung gebliebener Mensch. Kein Geck, dem das Äussere wichtiger ist als der Rest. Keiner, der nur in gestärkten Hemden einen geraden Rücken hat.
Und nein, auch kein Loser, das erst recht nicht. Denn die Hierarchien haben sich verschoben, seit die Hoodie-Fetischisten im Silicon Valley die Anzugträger an der Börse abgehängt haben in Sachen Reichtum. Wer wirklich Erfolg hat, braucht kein Bügeleisen. Wer cool ist, also ein Start-up betreibt, in der Kreativwirtschaft tätig ist oder von sonst woher auf die Büromäuse herunterlächeln kann, ebenfalls nicht.
Ist der Knitterlook nicht einfach eine neue Art der Uniformierung?
Oder vielleicht doch? Schliesslich sieht selbst ein Hoodie gebügelt besser aus. Und ist es nicht das Gegenteil von cool, nämlich unglaublich bieder, wenn man mit Knitterkleidung seine eigene Lockerheit beweisen muss? Ist das nicht einfach eine neue Art der Uniformierung? Dass sie weniger arbeitsaufwendig ist als die traditionelle, ist da ein schwacher Trost.
Bügeln als Kulturthema
In der Kunst wird bereits ab dem 17. Jahrhundert gebügelt. Berühmt wurden insbesondere die «Repasseuses», die Edgar Degas zwischen 1869 und 1702 gemalt hat. Auch Picasso, Toulouse-Lautrec und Daumier haben das Sujet bedient, und Man Ray hat der Kunstwelt 1921 unter dem Titel «Cadeau» ein mit Reissnägeln versehenes Bügeleisen vermacht. Literarisch kam die ungeliebte Hausarbeit 2018 zu einer besonderen Hommage: In Heinrich Steinfests kriminalistisch-satirischem Roman «Die Büglerin» bügelt die Protagonisten, eine Meeresbiologin, um Busse zu tun. (suk)

Die Kunst des Bügelns: Edgar Degas, «La repasseuse» von 1869. Foto: Getty Images
Nein, echte Unabhängigkeit geht anders, denkt man sich. Nämlich so: Man bügelt, was gebügelt gehört, und macht sich die frustrierende Arbeit so angenehm wie möglich – mit Musik oder Podcasts, mit einem netten Familienmenschen an der Seite oder allein mit sich. Hände besetzt, Kopf frei: Das ist ja eigentlich eine ideale Kombination, um über Dinge nachzudenken, für die sonst die Musse fehlt. Auch eine meditative Grundhaltung empfiehlt sich, Tipps dafür finden sich im Büchlein «Zen oder die Kunst des Bügelns» (ja, das gibt es tatsächlich).
Brett aufstellen, durchatmen, lächeln
Wem das zu wenig handfest vorkommt, der wird leicht Möglichkeiten finden, das Ganze als Training zu absolvieren: für die Rückenmuskulatur, für die Armbeweglichkeit. Oder auch für Koordination und mentale Flexibilität – dazu braucht man das Bügeleisen nur in die «falsche» Hand zu nehmen. Erstaunlich eigentlich, dass noch niemand drauf gekommen ist, entsprechende Kurse anzubieten.
Der Rest ist Erziehung: Ist ja o.k., liebe Familie, wenn ihr immer das zweitunterste T-Shirt braucht, aber den Rest würdet ihr bitte nicht zurückstopfen, sondern zurücklegen. Und wenn dann doch wieder mal gestopft wurde: Bügelbrett aufstellen, Musik auflegen, durchatmen, lächeln. Sisyphos hat auch nie aufgegeben.
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Die Menschheit zerknittert
Keine Lust, keine Zeit, keine Notwendigkeit: Bügeln ist out. Zeit für einen Gegentrend.