Rohstoffe aus dem PazifikDie Meereswüste lebt
Am Grund des Pazifiks wollen Firmen wertvolle Manganknollen fördern. Doch Biologen haben in der Tiefe des Ozeans einzigartige Organismen entdeckt, die ohne die Metallkugeln nicht überleben könnten.

Weiss-graue Schlangensterne liegen im Zwielicht der Scheinwerfer auf dem Meeresboden. Ein Tiefsee-Tauchroboter hat die grazilen Seestern-Verwandten in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) gefilmt. Die CCZ ist ein fünf Millionen Quadratkilometer grosses, mit Manganknollen übersätes Areal entlang einer 7000 Kilometer langen geologischen Bruchzone im Pazifik. Bislang ist die Zone vor allem wegen ihrer Rohstoffe bekannt und entsprechend begehrt: Manganknollen enthalten wertvolle Metalle und seltene Erden. Doch neue Forschungsergebnisse wecken Zweifel, ob der Meeresgrund tatsächlich als unbedenkliches Ziel für Tiefseebergbau gelten darf. Denn in 4000 bis 5500 Metern Tiefe existieren einzigartige Lebensgemeinschaften.
Den Biologen Sven Laming von der portugiesischen Aveiro-Universität erinnern Schlangensterne mit ihren scheibenförmigen kleinen Körpern und den fünf dünnen, gepanzerten Armen an filigranen Christbaumschmuck. 42 verschiedene Schlangenstern-Arten haben alleine Forscher des Deutschen Zentrums für Marine-Biodiversitätsforschung (DZMB) bisher in der CCZ entdeckt. Zwei davon hat Laming jetzt genauer untersucht: Eine weiss-grau getupfte Art (Ophiosphalma glabrum), deren Körper etwa eineinhalb Zentimeter breit ist, liegt für gewöhnlich auf dem Meeresboden und bleibt gern Single. Diese Schlangensterne nehmen mit dem Mund an der Scheibenunterseite Sediment auf, lutschen die organischen Bestandteile ab und spucken feinste Sandkörnchen wieder aus, sie haben nämlich keinen After.
Viele Hundert Jahre alte Tiefseeschwämme
Eine noch kleinere, lachsrote Art (Ophiacantha cosmica) sitzt hingegen lieber in Gruppen auf gestielten Schwämmen. Schwämme filtern ihre Nahrung aus dem vorbeiströmenden Tiefenwasser, gestielte Arten können sich aus der Strömung weiter oben die besten Häppchen schnappen. Darum nutzen die lachsroten Sterne, die ebenfalls filtrieren, diese als Hochsitz. Diese Gruppen bestehen oft aus einem grösseren und mehreren kleinen Exemplaren: «Es könnten Mütter mit ihrem Nachwuchs sein», sagt Sven Laming. Der genetische Nachweis dafür steht aber noch aus. Die Schlangensternmütter beider Arten entlassen ihre reifen Eier in die unwirtlichen Meerestiefen und hoffen auf Befruchtung. Mit dem grossen Dottervorrat kann ihr Nachwuchs auch bei Nahrungsmangel längere Zeit überleben.
«Wegen des Nahrungsmangels und der Kälte haben die Tiefseebewohner einen sehr reduzierten Stoffwechsel», sagt Pedro Martinez Arbizu vom DZMB. «Das Wasser ist nur ein bis zwei Grad kalt, denn es bildet sich in der Antarktis und strömt dann in der Tiefe nach Norden. Die Tiere wachsen und vermehren sich langsam.» Mit diesem sparsamen Stoffwechsel und weil grosse Exemplare nicht weggefischt werden, werden sie wesentlich älter: «Unsere Kohlenstoff-Isotopen-Untersuchungen zeigen, dass so mancher Tiefseeschwamm viele Hundert Jahre alt ist. Die kleinen Schlangensterne werden immerhin 20 bis 30 Jahre alt, das belegen die Wachstumsringe in ihren Skeletten.»

Doch mit dem ungestörten Dasein in der Tiefe könnte es bald vorbei sein. Wegen der Metallklumpen ist die CCZ das Ziel vieler Expeditionen. Die Knollen enthalten neben Mangan auch Kobalt, Nickel, Molybdän und andere Metalle, darunter die sogenannten seltenen Erden. Gerade Kobalt ist als essenzieller Bestandteil von Lithium-Ionen-Akkus in E-Autos und Smartphones eine kritische Ressource. Darum haben viele Staaten in der CCZ bereits ihre Claims abgesteckt.
Umweltverträglichkeitsgutachten müssen erstellt werden
Die Tiefsee-Bodenschätze gelten als gemeinsames Erbe der Menschheit, ihre Exploration und Nutzung überwacht die 1982 geschaffene Internationale Meeresbodenbehörde (ISA). 2011 hat der Internationale Seegerichtshof in Hamburg auf Antrag der ISA erstmals Umweltstandards für den Tiefseebergbau definiert: Vor dem Abbau müssen Umweltverträglichkeitsgutachten erstellt werden; wer sich im abyssalen Goldrausch einen Claim sichern möchte, muss also Forschung betreiben. Ausserdem müssen die Staaten Gesetze schreiben, um Unternehmen bei Verstössen gegen Umweltstandards haftbar zu machen, sonst haften sie selbst. Dass sich der südpazifische Inselstaat Nauru kürzlich bei UN-Verhandlungen von einem Tiefseebergbau-Konzern vertreten liess, gibt Wissenschaftlern und Umweltschützern jedoch Grund zur Sorge.
Weltweit machen Tiefsee-Ebenen etwa 70 Prozent des Meeresbodens aus, dieser grösste Lebensraum der Erde ist gleichzeitig der am schlechtesten untersuchte. Forschung ist in solch abgelegenen Regionen nur mit teurem Spezialgerät von Forschungsschiffen aus möglich: Tauchroboter mit Kameras beproben Wasser, Sediment und Meereswesen. Wegen des bevorstehenden Tiefseebergbaus ist die CCZ aber immerhin deutlich besser erforscht als andere Tiefseeregionen. Die Artenvielfalt sowie die Menge der Tiere vom Einzeller bis zum Fisch und die Veränderung des Artenspektrums alle paar Hundert Meter haben die Tiefseeforscher überrascht, so Pedro Martinez Arbizu.
Als Meeresboden-Putzkolonne haben Seegurken eine wichtige ökologische Aufgabe.
Da ist beispielsweise eine 40 Zentimeter lange stachelige Seegurke mit sieben Lippen, die auf 92 Füsschen über den Tiefseeboden trippelt. Oder ein gelber Artverwandter, dem sein langer, hochgereckter Schwanz den Spitznamen «Gummihörnchen» eingetragen hat. Die Funktion des Schweifs ist noch ungeklärt, möglicherweise dient er als Segel, um über den Boden dahinzugleiten oder aber zur Körperstabilisierung. Wie alle Seegurken saugt auch diese mit Lippen auf der Unterseite Planktonreste, Kot oder Bakterienklumpen vom Boden auf. Als Meeresboden-Putzkolonne haben Seegurken eine wichtige ökologische Aufgabe. Die leuchtend gelbe Farbe des Hörnchens könnte auf ein noch unbekanntes Toxin hinweisen, die Jäger wie Rattenschwanzfische abschreckt.

Unter den Tiefseebewohnern sind viele Neuentdeckungen, von den 154 gefundenen Wurmarten waren 70 Prozent zuvor unbekannt. Die hohe biologische Vielfalt der CCZ könnte wesentlich an den Manganknollen liegen: Ihre unebenen Oberflächen bieten auf dem weichen Tiefseesediment einen festen Untergrund für die Ansiedlung von Schwämmen und anderen festsitzenden Bewohnern. Biologen schätzen, dass die metallhaltigen Klumpen die Lebensgrundlage für etwa die Hälfte der grösseren Tiere bilden.
Die Lebensgemeinschaften sollen zwar durch eine ganze Kette von Tiefsee-Schutzgebieten bewahrt bleiben. Die Verteilung der Abbau- und der Schutzgebiete erscheint allerdings ungünstig: So liegen die Claims an den grössten Rohstoff-Konzentrationen entlang der Bruchzone, die Schutzgebiete aber eher am Rand dieser Gebiete. Somit werden genau die Areale, die wohl besonders artenreich sind, nicht geschützt. Dass die ISA den Vorschlägen der Biologinnen und Biologen nicht gefolgt ist, überrascht kaum, schliesslich wurden die Claims schon vorher abgesteckt. Beim Tiefseebergbau gehe es nicht nur um sehr viel Geld, sondern auch um geostrategische und geopolitische Macht und Prestige, erklärt Pedro Martinez Arbizu.
Langsame Erholung in der kalten Dunkelheit
Wegen der Langsamkeit der biologischen Abläufe in der kalten Dunkelheit werden verwüstete Flächen nur sehr langsam wieder besiedelt, wie Tiefseebiologen im «Discol»-Experiment ermittelt haben: «25 Jahre nach dem Abräumen der Manganknollen waren die Spuren der Greifer immer noch klar erkennbar und nicht wieder besiedelt worden. Wahrscheinlich würde eine Wiederbesiedlung des Tiefseebodens Jahrhunderte brauchen», sagt Arbizu. Solche Verwüstungen dürften auch Auswirkungen auf den Stoffkreislauf des Ozeans haben, von der CO₂-Speicherung bis zu Fischbeständen.
Bisher hat der Abbau noch nicht begonnen, das dafür notwendige Regelwerk – der «Mining Code» – wird wohl erst in zwei Jahren verabschiedet. Zudem verlangen die ISA-Richtlinien von künftigen Antragstellern, Alternativen zum Tiefsee-Bergbau zu prüfen. Das könnte insbesondere Recycling sein, die Nutzung anderer Quellen für Kobalt und Kupfer sowie die Suche nach Ersatzstoffen.

Anfang Juni forderten Umweltschutzorganisationen, einige pazifische Inselstaaten und das EU-Parlament ein Moratorium für den Tiefseebergbau. Eine Alternative könnte Green Mining an ruhenden Vulkanen sein, wie Geologen um Jon Blundy von der Universität Oxford berichten. Bei diesen sammelt sich Metalle im Untergrund an und könnte extrahiert werden. Sowohl der technische Aufwand als auch die ökologischen Folgen könnten weitaus geringer sein als beim submarinen Abbau.
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