Die Maske der Entlarvung
Peter Lichts Molière-Groteske am Schauspielhaus Basel.

Der Tüffi kann ein furchtbares Schwein sein. Stösst als Neuer zur Gruppe, hängt aber bei jeder Gelegenheit den Hammer raus, sodass der Orgi vor lauter Hunger nach Abwechslung die anderen meistens missachtet. Kein Wunder, zerreissen sich der Dami, die Elmi, die Dori und der Cléi das Maul, wenns keiner hört, höchstens die Perni noch, die zwar eine Madame ist, aber den Tüffi noch so geil findet. Wobei, das Schlimmere ist, dass der Orgi damit angefangen hat, mit dem Tüffi geil finden. Der Orgi ist nämlich das Licht, um das die Gruppe schwärmt. Und wenn dieses Licht ausgeht …
Wer sich bis hierhin nicht auskennt: Tüffi hiess früher mal Tartuffe. Da war er noch die Titelfigur eines französischen Komödiendichters, der furchtbar berühmt wurde, deutlich über seinen Tod hinaus, und das ist auch schon über 300 Jahre her. Molière hatte erfolgreich Ständesatire in alle Richtungen betrieben. Sogar der König hatte mitgelacht. Den «Tartuffe» aber, den nahmen ihm die Frömmler unter den einflussreichen Hofklerikern übel. Dass sich ein geistlicher Gast im Haus des reichen Orgon wie ein gieriger, lüsterner Hochstapler aufführt, ging gar nicht. Daraus folgte: Aufführungsverbot. Dennoch, oder deswegen, wurde das Stück ein Klassiker.
Am Schauspielhaus Basel hat der Kölner Autor PeterLicht versucht, dieses Stück zu überschreiben. PeterLicht, der diesen Künstlernamen ohne Leerschlag führt, erwarb sich zuerst mit popintellektuellen Songs einen Ruf. Bald erscheint ein neues Album. Die Verse seiner bisher bekannten Songs verhaken sich gern am prosaischen Leben, von dem sie erzählen. Das klingt dann spielerisch holpernd. Brachial klingt es eigentlich nie.
Zuflucht in der Brachialgroteske
Im Fall von «Tartuffe oder das Schwein der Weisen» – der dritten Molière-Neufassung von PeterLicht – muss sich im Entstehungsprozess irgendwann herausgestellt haben, dass das Wortspielerische allein ins Leere läuft, und dass eine Satire auf eine New-Age-Community unserer Tage auch nicht mehr die Zündendste aller «Tartuffe»-Aktualisierungsideen ist. Der Autor suchte Zuflucht in der Brachialgroteske. Claudia Bauer, der Basler Uraufführungsregisseurin, und dem Ensemble blieb wohl nur übrig, dieses Schwein der Weisen ohne Skrupel auszuschlachten. So sehen wir nun ein opulentes (und auch nicht ganz das erste) Beispiel dafür, dass die Basler Dramaturgie vor der Klassikerverwurstung nicht gefeit ist.
Weil der Tüffi, wie bei Molière der Tartuffe, mit seinem ersten Aufstampfer-Auftritt auf sich warten lässt, fängt es ja noch ganz lustig an. In uniformer Schrillheit (Kostüme: Vanessa Rust) rottet sich vor Orgons mediterran angehauchter Landhausfassade der harte Kern der Selbstoptimierungsseminaristen zusammen. Die Konversation kreist dann, in einer an René-Pollesch-Stücken geschulten Perma-Schwall-Performance, sehr bald um die Streitfrage, ob der Tüffi geil oder ungeil ist.
Es wird getratscht, es wird gestichelt, es wird gelabert, es werden über drei Etagen Flügeltüren auf- und zugeklappt (Bühne: Andreas Auerbach). Dabei bohren Katja Jung (Pernelle), Pia Händler (Dorine), Myriam Schröder (Elmire), Leonie Merlin Young (Mariane), Mario Fuchs (Damis) und Max Rothbart als Cléante hübsche Gucklöcher in die Super-Egos ihrer Figuren. Gucklöcher, durch die das Publikum freie Sicht hat auf Gruppendruck und Geltungssucht.
Backstage brütet derweil Orgon, also Orgi, über seinem Spiegelbild. Man erhascht das erst auf einem Split-Screen, später dreht sich die Bühne, und Florian von Manteuffel stellt das perverse Alleswollen dieses Hedonisten aus. Orgis Eitelkeit, seine Sucht nach Entgrenzung ist so weit überreizt, dass er sich mit einem PeterLicht-Song als «Lutschbonbon» im «Land der Lutscher» völlig ausgelutscht fühlt.
Zwischendrin scheint sich das heillos um sich selbst betriebsnudelnde Geschehen an den Molière-Plot zu erinnern. Jedenfalls will Orgi seine Tochter Mariane mit Tüffi verkuppeln, im hiesigen Jargon: «kontextualisieren». Dabei steckt ihm Damis, dass Tüffi lieber mit der Elmi kontextualisiert, und die ist Orgis Frau. Was dem Orgi einerlei ist. Hauptsache, der Tüffi fühlt sich heimisch.
Kurztrip nach Absurdistan
Das Uferlose hat der Kommunikationsverlauf da längst hinter sich gelassen. Das Ensemble nimmt noch elegant ein paar krumme Wendungen zur Tragweite von Gesprächen zwischen den Geschlechtern mit, man hätte die Uraufführung gut und gerne hier abbrechen und das Publikum entlassen können, ein Kurztrip nach Absurdistan ist ja nicht die schlechteste Form des Theaterbesuchs.
Allein, es fehlt ja noch Tartuffe, die fette Sau. Der muss ja noch stumpenbeinig durch den Morast der Inszenierung schmatzen, muss wüst unter der strähnigen Schweinsmaske grunzposaunen (im Fatsuit: Nicola Mastroberardino, Live-Musik: Henning Nierstenhöfer), muss seinen Monsterpenis aus der fäkalbefleckten Hose baumeln lassen und der Elmi einen diesbezüglich kontextualisierten Workshop offerieren.
Ob einem solche Ausstülpungen aus der Abteilung Bühnenschockeffekte liegen, sei dahingestellt. Fakt ist, dass sie dem Stück nicht weiterhelfen. Nachdem Tartuffe die Maske abgestreift hat und sich mit menschlicher Stimme als gewöhnlicher Sexschamane outet, wird die Story, je zäher sie sich dehnt, desto schmalspuriger. Die Groteske, mit der PeterLicht arbeitet, entlarvt sich selbst als Maskerade. Und der Regie, als geschäftsführender Schamanin dieser Flachsinnsveranstaltung, bleibt keine Wahl, als am Ende wieder alles auf Anfang zu stellen.
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