Grüsse aus dem SchwarzwaldDie Lockerheit reicht bis vors Hotelbuffet
Gedränge auf der Wasserrutschbahn, Menschen ohne Maske in den Wartebereichen – alles kein Problem bei unseren nördlichen Nachbarn. Aber irgendwo hört der Spass auf.

Als Reisender der chaotischeren Sorte schaffte ich es sogar in Vor-Corona-Zeiten, an Ländergrenzen hängen zu bleiben. Mit der ID wollte ich einst nach Ägypten fliegen: Die Dame beim Check-in am Frankfurter Flughafen liess nicht mit sich verhandeln. Ich musste nach Hause den Reisepass holen und konnte erst einen Tag später nachreisen. Mit einem abgelaufenen Pass flog ich ein andermal nach New York, wo mich die Zöllner zunächst nicht ins Land lassen wollten. Nach einem hysterischen Anfall meinerseits liessen sich die amerikanischen Grenzwächter erweichen – mit der Auflage, ich müsse mich nach der Einreise sofort bei der Schweizer Botschaft melden.
Solche leidvollen Erfahrungen schmerzen, aber man lernt daraus. Die Woche im Schwarzwald waren wohl die bestvorbereiteten Ferien meines Erwachsenenlebens. Ich hatte nebst meiner fünfköpfigen Familie dabei: meinen gelben Impfpass, das Impfzertifikat, das sicherheitshalber noch im Handy eingescannt worden war, und die ID.
Als die Aufpasserin weg ist, herrscht Gedränge
Ein Freund, der in Deutschland lebt, hatte mich gewarnt: «Die Deutschen sind regelverliebt, und in Sachen Corona sind sie es erst recht. Die Leute halten sich tatsächlich alle an die Vorschriften.» Und so winkte ich dem Zöllner beim Autobahnübergang Weil am Rhein mit einem Stapel an Dokumenten zu, einem gesamten Stoss an Papier als Zeugnis meiner bis in die Haarspitzen reichenden Gesundheit. Fast enttäuscht war ich, dass mir der Grenzwächter per Handzeichen beschied, einfach weiterzufahren.
Nicht mal das Fenster runterlassen musste ich! Von preussischer Strenge sollte auch in den folgenden Tagen vorerst nichts zu spüren sein. Nicht, dass es an Regeln fehlte. Im Freibad Todtnau beispielsweise hiess es beim Einlass, man habe «im Eingangsbereich» Masken zu tragen. Da selbst die Verkäuferinnen auf eine Maske verzichteten, schienen sich die Gäste auch nicht berufen zu fühlen, der Aufforderung Folge zu leisten. Auch das Hinterlegen der Kontaktdaten hatte eher fakultativen Charakter.
Bei der Wasserrutschbahn hiess es: Anstehen mit einem Abstand von 1,5 Metern. Eine Aufpasserin schaltete sich ein, wenn das Gedränge zu gross wurde. «Nur zwei aufs Mal auf die Rutsche», sagte sie bestimmt. Als sie sich allerdings in die Kaffeepause verabschiedete, herrschte prompt ungeordnetes Treiben auf der Rutschbahn.
Streng, weil die Gäste schummelten – waren es Schweizer?
Corona war im Schwarzwald weit weg in dieser dritten Juliwoche. In den Nachrichten dominierten Meldungen von den Opfern der Flutkatastrophe in der Eifel, unfallbedingten Verkehrsbehinderungen oder den Olympiavorbereitungen der deutschen Athleten. Und in den Freizeiteinrichtungen schienen die Angestellten sich in erster Linie über die ersten Sonnentage des Sommers zu freuen. Ihre Lust, sich als Corona-Polizisten aufzuspielen, hielt sich in Grenzen. Selbst wer in den Innenräumen etwa des Steinwasen-Parks die Maske nicht aufhatte, musste nicht mit einer unmittelbaren Zurechtweisung rechnen. Vor wenigen Monaten undenkbar.
Noch ist aber auch im Schwarzwald nicht allen zum Scherzen zumute. Beim Hotelbuffet mussten selbst die Kleinkinder die Maske aufsetzen, sehr zum Erstaunen der Schweizer Gäste. Noch nie hatte ich meinen drei 1- bis 5-jährigen Kleinen hierzulande eine Maske umgebunden. Ich entschuldigte mich für den Fauxpas, eilig reichte mir der Kellner ein paar Exemplare, welche ich meinen Kids um die Ohren hängte. Der epidemiologische Nutzen dürfte sich in Grenzen gehalten haben, so weit, wie die viel zu grossen Masken von den Kindergesichtern runterbaumelten.
Wir fragten bei der Restaurantchefin, ob es in Deutschland normal sei, dass auch Kleinkinder die Masken aufhaben müssten. «Nein, nein, aber wir hatten genug von den Diskussionen und wollten nicht kontrollieren müssen, ob die Kinder jetzt sechs Jahre alt sind oder nicht. Es wurde die ganze Zeit geschummelt», meinte sie.
Sind die Deutschen nicht so regelhörig, wie mein Freund mir weismachen wollte? Wahrscheinlicher ist wohl: Die meisten Buffetschummler waren Schweizer – in ihrer ureigenen kritischen Haltung gegenüber Autoritäten. Zu derlei Spekulationen wollte sich die Restaurantchefin nicht äussern. Gäste aus dem reichen Nachbarland zu vergraulen, ist ja auch keine gute Idee.
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Leif Simonsen ist seit Mai 2021 Redaktor im Regionalressort und Mitglied des Teams Politik.
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