Die Liebe ausprobieren?
Vor einiger Zeit kam in dieser Zeitung ein Mann zu Wort, der auf Partnerbörsen im Internet eine Frau sucht. Interessant erschien mir, dass er schilderte, die meisten Suchenden im Internet hätten verschiedene Kontakte parallel «laufen» und wie das komisch sei, wenn man jemanden in diesem Wissen treffe. Tatsächlich zeichnet sich eine spriessende Liebe sonst eher durch Ausschliesslichkeit aus. Andererseits ist es ja vielleicht durchaus sinnvoll, verschiedene Optionen zu vergleichen und verschiedene potenzielle Partner auszuprobieren. Ist es einfacher oder schwieriger, die Liebe zu finden, wenn man mehrere potenzielle Partner «ausprobieren» kann? B. D.
Beides. Sich zu verlieben, hat etwas sehr Zufälliges. Aber die Seltenheit des richtigen Zufalls, nämlich mit jemandem, in den wir uns verlieben können, zur selben Zeit am selben Ort zusammengetroffen zu sein, verleiht diesem Zufall den Charakter einer schicksalshaften Notwendigkeit. Wer Pech hat, bleibt allein oder gerät aus purer Not an die Falschen. Die Suche auf den Partnerbörsen im Internet hebt die physisch-räumliche Begrenzung in radikaler Weise auf.
Damit rückt aber der Zufall gegenüber der (gefühlten) Schicksalshaftigkeit ganz entscheidend in den Vordergrund. Wir können gewissermassen an fünfzig Bartheken gleichzeitig herumhängen und flirten. Dabei jene für das Verlieben erforderliche «Überschätzung des Liebesobjekts» (Freud) zu entwickeln, fällt wegen der Fülle der Auswahl schwer. Der alte, launig-zynische Ratschlag, dass wer sich ewig bindet, prüfen möge, ob sich nicht was Bessres findet, wird hier geradezu zur andauernden und durchaus realistischen Aufforderung. Der oder die Partnersuchende will zwar den einen oder die eine fürs Leben, aber angesichts des grossen und sich stetig verändernden Angebots ist jede Entscheidung von vornherein mit dem Makel der Voreiligkeit behaftet.
Man kann sich bestenfalls verlieben, wie man sich in eine Handtasche oder einen Anzug verliebt – im Wissen darum, dass bald schon eine neue Kollektion erscheint. Je prestigeträchtiger eine Marke, desto geringer ist darum die Auswahl, die sie in ihren Läden präsentiert. Wer unter drei schönen und sündhaft teuren Anzügen aussuchen darf, bekommt eher das Gefühl einer sein Leben in entscheidender Weise bereichernden Wahl als jemand, der im Outlet-FabrikLaden derselben Edelmarke kauft. Denn dort fragt man sich schon beim Betreten der mit Kleiderständern vollgestellten Hallen, ob das Angebot nächste Woche nicht noch besser sein könnte. Die Qual der Wahl ist angesichts unübersichtlicher Möglichkeiten keine bittersüsse Qual, sondern eine lästige Aufgabe, welche leicht schon im Moment der (vorläufigen) Entscheidung Überdruss erzeugt.
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