Die Leiden des älteren Werther
BaZ-Autor Michael Bahnerth schreibt in seinem neuen Buch alles, Männer wissen müssen. Auch für die Frauen!

«Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.» («Schiller», Prolog Wallenstein). Viele von denen, die Michael Bahnerth nicht mögen, attestieren ihm immerhin, dass er – leider – gut schreibt. Die, die ihn kennen oder seine Kolumnen genau lesen, dass sein Schreiberherz nicht nur im anatomischen Sinn grösser ist als seine Formuliergalle. Nun liegt sein Büchlein mit 49 Kolumnen vor, die in der BaZ unter dem Titel «Bahnerths Maladien» erschienen sind.
Es ist so etwas wie das Tagebuch eines verhinderten Tagediebes und deshalb Tagträumers.
Die Themen sind Liebe und Sex, respektive, das eine inklusiv das andere oder das eine ohne das andere, Fernweh, Rausch, Nomadentum versus Sesshaftigkeit und deren Therapien.
Manche Klagen sind ernst zu nehmen, was ihren Unterhaltungswert aber eher steigert als mindert.
Es beginnt gleich mit der Selbstliebe, zu der Bahnerth zum Beispiel meint: «Um ehrlich zu sein, so die ganz grosse Liebe zwischen mir und mir als Grundgroove meines Seins ist das nicht, es ist ein evolutionäres Zweckbündnis, wie eine altmodische Ehe vielleicht.» Er ist immer wieder auf der Suche nach dem verlorenen Ich. Einer seiner Lieblingssätze: Ich ist ein unerreichbarer Kontinent. Das weckt natürlich eine gewaltige Sehnsucht nach ihm. Was ist dagegen die Nächstenliebe, die gleich um die Ecke auf einem Barhocker sitzt?
Sein Fernweh kann man nachempfinden, ist doch Basel keine palmenbewachsene Insel, auf der Brooke Shields gestrandet ist, es hat keinen Montparnasse, es gibt hier das Paradies nur als Name einer Migros-Filiale, Hemingway ist nie in der Campari-Bar gewesen, es gibt kein Rauschen der Ozeane, die uns Unendlichkeit vorgaukeln.
In diesem Büchlein weht so viel Küstenseligkeit, dass ich mir nicht verkneifen kann anzumerken, dass es auch «Bahnerths Maladiven» heissen könnte. Dass wir vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit gewandert sind, beklagt Bahnerth so: «Auch das ist das Produkt der Neolithischen Revolution, der Sehnsucht nach Sicherheit, einem Dach über dem Kopf, einem weichen Bett und jederzeit etwas zu fressen haben: Alkoholabhängigkeit, Fernweh, Horizontschwund und Hämorrhoiden.»
Die 13 Therapiesitzungen sind kurz und fündig. Zwei Schlüsse von zwei Sitzungen: «Ich habe Ihre Sachen übers Wallis gelesen, dass Walliser ihre Kühe besser behandeln als Frauen.
Ist doch so, Doktor.
Ich bin Walliser, Michael.
Ach, das kriegt man doch mit ein paar Sitzungen in den Griff, Doktor.»
«Doktor, kann es sein, dass Trinken gelegentlich mehr Klarheit bringt als Therapie?»
Rausch und Ich-Suche: «Aber ich war so sehr ausserhalb von mir, dass ich mir ganz nah war.»
Man muss vor dem Philosophischen zwischen den Zeilen keine Angst haben. Es ist Philosophie mit Augenzwinkern. Oder so gesagt: Bahnerth, das Land der Griechen mit der Seele suchend, findet körperlich immer wieder den Weg in die Niederungen der «Bodega», ganz nach dem Motto: Le vrai philosophe se moque de la philosophie.
Ganz nebenbei: «Ich fahre jetzt mit dem Fahrrad in den Sonnenuntergang.» Ich glaube, Bahnerth velorisiert sachte das Elsass.
Mit Kolumnenbüchlein ist das so eine Sache. Die einen sagen, das lese ich doch nicht noch einmal. Die andern, das habe ich schon in der Zeitung nicht gelesen, warum soll ich es jetzt in einem Buch?
Ihnen kann ich nur sagen, dass ich alles noch einmal gelesen habe. Und zwar in einem Zug, da mit grossem Vergnügen. Es war wie eine Stunde am unendlichen Strand von Nirgendwo, mit einem Hochprozenter aus Dr. Bahnerths Hausapotheke, einer Schönheit, die mich Brooke Shields vergessen liess und diesem Ich-bleibe-ungeschoren-vom-Wo-und-Wie-und-Was.
Was will man mehr an einem Frühlingstag, der nichts verspricht ausser, dass er zur Neige geht?
Ich empfehle das Buch jenen Männern, die noch so viel Eigenliebe haben, dass sie sich beim Nachdenken gerne unterhalten. Auch mit sich und ihren Defiziten.
Und jenen Frauen, die noch so viel Nächstenliebe aufbringen, dass sie das klägliche Nomadentum, das uns geblieben ist, gelegentlich auf Stöckelschuhen zelebrieren.
Robert Stalder ist Autor und Werber. Unlängst von ihm erschienen ist: «Zum Beispiel Zanderfilet».
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