
Presseberichte um Chefärzte, insbesondere am Universitätsspital Zürich, zeigen ein erschreckendes Bild. Das Publikum wird mit Schlagworten wie «rücksichtsloses Gewinnstreben», «Experimente an Patienten», «Seilschaften» und «illegale Doppellohnempfänger» bombardiert. Manche Informationen sind, leider, aus dem Zusammenhang gerissen. Ich versuche eine Einordnung zu leisten.
Das Gros der ärztlichen Führungspersonen am Unispital sind Professorinnen und Professoren an der Universität Zürich. Damit erhalten sie ein Professorengehalt. In Absprache zwischen Universität und den universitären Spitälern erhalten diese Ärzte Lohnzulagen einerseits für ihre Führungsfunktionen und andererseits für ihre ärztliche Tätigkeit. Die Daten sind dem Kantonsrat, dem Spitalrat, dem CEO und dem ärztlichen Direktor bekannt. Bei Unregelmässigkeiten üben diese Instanzen Druck auf die Kliniken aus, um Missstände zu korrigieren.
Die Spitaldirektion kann das Spital nur mit und nie gegen die Kaderärzte führen.
Im Resultat erhalten wichtige Leistungsträger einen guten, ihren Spitzenleistungen angemessenen Gesamtlohn. Man kann diskutieren, was «angemessen» heisst. Wenn aber Ärzte an Unikliniken massiv schlechter bezahlt werden als in einer Privatklinik oder in anderen öffentlichen Spitälern, werden sich Spitzenärztinnen von einem universitären Spital abwenden.
Das Unispital ist eine Expertenorganisation. Der Spitalrat und die Spitaldirektion können das Spital nur mit und nie gegen die Klinikdirektoren und Kaderärzte führen. Die Klinikdirektoren sind fachlich für ihre Klinik die oberste Instanz. Bei Kunstfehlern stehen sie vor Gericht. Entsprechend müssen sie auch mitentscheiden können, wie sie ihre Klinik organisieren. Wo schnelle Entscheide notwendig sind, wie in der Chirurgie, braucht es hierarchischere Führungsstrukturen als anderswo.
Dass das Unispital als CEO einen erfahrenen Arzt hat, ist ein Glücksfall. Wenn der Chef einer Firma das Kerngeschäft wirklich kennt, ist dies in jedem Betrieb von Vorteil. Es geht nicht um Seilschaften, sondern um profunde Kenntnis des Kerngeschäfts.
Führung ist am Unispital so schwierig, weil als öffentlich-rechtliche Anstalt der Kantonsrat, der Regierungsrat, der Spitalrat, Patientenorganisationen und sogar die Öffentlichkeit mitreden. Wenn Probleme auftreten, sind konkurrierende Privat- und öffentliche Spitäler noch so glücklich. Sie können dann die Patienten übernehmen. Diese Denkweise ist kurzsichtig, denn ein Zentrumsspital – und in der Schweiz sind die Unikliniken die wichtigsten Zentrumsspitäler – kann nur höchste Leistungen erbringen, wenn alle relevanten Disziplinen an einem Ort verfügbar sind.
Jeder Arzt glaubt an seine Kunst, sonst wäre er gar nicht in der Lage, einen Patienten zu behandeln.
Patienten – besonders an einem Zentrumsspital – sind oft schwerst krank. Steht ein Patient mit einem versagenden Herzen oder einem bösartigen Krebs einem behandelnden Arzt gegenüber, erscheint dieser oft als letzte Hoffnung. Häufig kann ein Arzt dem Patienten keine erprobte Therapie mehr anbieten, und eine «experimentelle» Therapie ist die letzte Hoffnung auf ein würdevolles Weiterleben. Der Arzt muss mit dem Patienten und seinem eigenen Gewissen ausmachen, ob er eine solche Therapie anwenden will. So hat die Medizin seit Anbeginn Fortschritte gemacht. Jede heute etablierte Therapie war einmal «experimentell».
Jeder Arzt glaubt an seine Kunst, sonst wäre er gar nicht in der Lage, einen Patienten zu behandeln. Damit hat ärztliches Handeln auch eine sehr subjektive Komponente. Dem Machbarkeitswahn der Gesellschaft stehen die Grenzen des Machbaren gegenüber.
Der Patient muss seinem Arzt tatsächlich «Glauben» schenken und ist ihm und seiner Ethik ausgeliefert. Daher fordert der hippokratische Eid, dass das ärztliche Handeln die primäre Aufgabe hat, nicht zu schaden.Erst wer diese Komplexität ärztlicher Einbindungen in einem Zentrumsspital versteht, wird einsehen, dass vieles zu kurz greift, was momentan zu diesem Thema geschrieben wird.
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Gastkommentar zur Spitalaffäre – Die Kritik am Unispital ist überzogen
Ein Zentrumsspital ist eine komplexe Expertenorganisation. Medienberichte lassen das ausser Acht und zeichnen ein verzerrtes Bild.