Baselbieter Basketball-ExploitDie Kleinen sind plötzlich die Grössten
Der A-Ligist Starwings hat eine der grössten Sensationen im Schweizer Basketball realisiert und steht im Halbfinal um die Meisterschaft. Die Baselbieter schreiben damit Geschichte.

Pascal Donati hat in seinem Basketballer-Leben schon vieles erlebt. Aber das, was sich am Sonntag in Genf zugetragen hat, ist auch für ihn etwas «Unglaubliches». Mit einem 73:70-Erfolg bezwingen die Starwings im entscheidenden Viertelfinalspiel Genf, gewinnen die Serie mit 2:1 Siegen und ziehen in die Runde der letzten vier ein. Landauf, landab überschlagen sich die Schlagzeilen mit Superlativen.
Der Exploit des Underdogs aus dem Baselbiet, der erstmals seit der Saison 2007/08 eine Playoff-Serie gewinnen kann, kommt total unerwartet. Donati, seit kurzem wieder Präsident des regionalen A-Ligisten, erhält in den ersten 30 Minuten nach Abpfiff rund 50 SMS. Unter den Gratulanten befindet sich auch der Vereinsboss des Gegners, der von einem verdienten Starwings-Sieg schreibt.
Um den Stellenwert des Starwings-Erfolgs einordnen zu können, genügen ein paar wenige Eckdaten. Die Genfer gewannen in dieser Saison die Qualifikation, den Schweizer Cup und den Liga-Cup. Die Starwings beendeten die Qualifikation auf Rang acht, dem letzten Playoff-berechtigten Platz. Von den 24 Qualifikationspartien gingen die Westschweizer in deren 21 als Sieger hervor, die Starwings gewannen gerade mal 7 Spiele.
Und: Während die Genfer über ein Budget von 1,8 Millionen Franken verfügen und sich extra für die Playoffs einen weiteren ausländischen Verstärkungsspieler leisten konnten, haushalten die Starwings mit bescheidenen 300’000 Franken. Donati sagt: «Dass der Achte im Viertelfinal den Ersten rauswirft, hat es seit Einführung der Playoffs noch nie gegeben.» In der Regel würde die Meisterschaft erst ab den Halbfinals spannend – wenn die vier besten Mannschaften den Titel untereinander ausmachen.
Mit einem Mini-Aufgebot
Nun sind die kleinen Starwings plötzlich die Grössten. Die Geschichte, die sie gerade schreiben, hat Bestseller-Potenzial. Da wären einerseits die Umstände, wie der jüngste Sieg in der Serie zustande gekommen ist. Und andererseits die Tatsache, dass der einzige Deutschschweizer Vertreter in der höchsten Liga in den letzten Monaten mehrmals von der Pandemie ausgebremst worden ist.
Zurück aber zu Spiel 3 im Viertelfinal. Auch in Genf tritt das Team von Trainer Dragan Andrejevic in einer Mini-Besetzung an. Auf der Ersatzbank nimmt gerade mal ein Spieler Platz, die restlichen Kaderakteure sind entweder verletzt oder aus Ausbildungsgründen unabkömmlich.
Die Aufgabe nicht einfacher macht die Tatsache, dass die zwei Schweizer im Team, Sebastien Davet und Vid Milenkovic, durchspielen müssen. Das Reglement der Liga besagt, dass stets mindestens zwei Schweizer auf dem Feld zu stehen haben. Da die beiden im Genfer Starwings-Aufgebot die Einzigen mit einem roten Pass sind, gibt es keine Wechselalternativen. Das ist auch der Grund, weshalb die Starwings vornehmlich mit einer Zonenverteidigung ihre Defensivarbeit verrichten. Das Risiko, dass ein Schweizer Spieler mit fünf Fouls ausgeschlossen wird, ist so kleiner. Wäre dieses Szenario eingetreten, hätten die Baselbieter in Unterzahl zu Ende spielen müssen…
Bis zur letzten Sekunde halten die Gäste gegen das übermächtige Genf dagegen und knüpfen an ihre Leistung aus dem Heimspiel an, das sie am Freitag ebenso überraschend gewinnen konnten. Schliesslich gelangt Milenkovic beim Stand von 70:70 zu einem Einwurf, der den freigeblockten Matthew Milon findet. Der Amerikaner fackelt nicht lange und wirft. Sieben Meter beträgt die Distanz, der Ball landet im Korb, das Skore leuchtet 70:73 auf, und zu spielen sind noch 0,7 Sekunden. Zu kurz, als dass das Heimteam noch reagieren kann.
Milon wächst in dieser Situation über sich hinaus und avanciert zum Matchwinner. Aber er unterstreicht auch, weshalb er auf diese Saison hin ins Baselbiet transferiert worden ist. Der 24-Jährige wies in der letzten Spielzeit in seiner Heimat den prozentual besten Wert als 3-Punkte-Werfer aller College-Spieler auf. Seine grösste Qualität hat nun mitgeholfen, dass die Starwings-Saison noch nicht beendet ist.
Elf Teammitglieder positiv getestet
Überhaupt haben die ausländischen Kräfte in den Playoffs ihre besten Minuten gespielt. Donati geht in seiner Analyse gar ein paar Wochen zurück: «Seit Februar ist die Mannschaft immer besser in Fahrt gekommen.» Sie wie auch der Trainer hätten sich enorm weiterentwickelt und von da an ihre Qualitäten besonders gut zeigen können. «Ohne Corona», ist Donati überzeugt, «wären wir nicht auf Platz acht klassiert gewesen.»
Die Pandemie begleitet die besten regionalen Basketballer mehrere Wochen. Zweimal muss das Team komplett in Quarantäne respektive in Isolation. Erst werden vier Teammitglieder positiv auf Covid-19 getestet, später sieben weitere. Noch härter werden die drei amerikanischen Kräfte von Corona getroffen. Die Profispieler verbringen an ihrem neuen Arbeitsort insgesamt 30 Tage in ihren eigenen vier Wänden.
Doch die Auszeit hat auch ihr Gutes. Das Team, das auf diese Saison hin komplett neu zusammengestellt worden ist, rückt näher zusammen. Eine Eigenschaft, die sich in der aktuellen Saisonphase positiv auswirkt. Selbst diejenigen, die in den Playoffs nicht mithelfen können, tragen ihren Teil von der Tribüne aus bei und unterstützen ihre Mitspieler.
Die Bilanz gegen Neuchâtel
Das wird von Mittwoch an wieder nötig sein, wenn der Halbfinalgegner Neuchâtel heisst. Zwar haben die Starwings zwei von drei Saisonduellen gegen die Neuenburger für sich entschieden, aber sie befinden sich trotzdem in der Aussenseiterrolle, da sich die Romands auch nochmals verstärkt haben. Doch zuversichtlich stimmen dürfte die Baselbieter, dass sie den grössten Brocken der Liga bereits bezwungen haben.
Das freut natürlich auch den Vorstand des Vereins, der zugleich bestrebt ist, das grosse Ganze genauestens im Auge zu behalten. Sprich die Finanzen, die in den letzten Jahren akribisch verwaltet wurden, nachdem sich die Starwings nach dem Cupsieg 2010 verschuldet hatten. In der Regel enden die Spielerkontrakte drei Tage nach dem letzten Spiel. Da die Starwings nun unerwartet im Halbfinal stehen, wird die Saison für den Verein teurer als budgetiert.

Auch, weil die Zuschauereinnahmen fehlen. Immerhin dürfen am Freitag, im einzigen Heimspiel dieser Serie, 50 Personen in die Sporthalle Birsfelden kommen. Die Tickets waren vergeben, ehe sie der Verein wie ansonsten üblich auf der Club-Website aufgeschaltet hatte. Die Starwings hätten ein X-Faches an Eintrittskarten absetzen können.
Auch das ist eine Folge jenes historischen Triumphs, der die Tür zur Meisterschaft für die kleinen Starwings einen Spalt weit geöffnet hat.
Playoff-Halbfinal-Serie (Best of 3). Mittwoch, 20 Uhr: Neuchâtel - Starwings. – Freitag, 19 Uhr: Starwings - Neuchâtel (live auf RegioTVplus und im Liga-Livestream). – ev. Sonntag: 20.30 Uhr: Neuchâtel - Starwings.
Dominic Willimann ist seit 2007 Sport-Redaktor der BaZ und kennt den regionalen Sport aus dem Effeff. Ebenso ist er mit den Geschehnissen rund um den FC Basel vertraut und hat seit 2007 kein Eidgenössisches Schwingfest verpasst.
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