Die kleine Airport-AnthropologieDie kleine Airport-Anthropologie
Der Flughafen als Forschungsgebiet: Nirgendwo lassen sich stereotype Verhaltensmuster besser beobachten. Und wie checken Sie ein? Als Chuck Norris oder Laura Palmer?Der Flughafen als Forschungsgebiet: Nirgendwo lassen sich stereotype Verhaltensmuster besser beobachten. Wie checken Sie ein? Als Chuck Norris oder Laura Palmer?
Von Peter Aeschlimann Fliegen lernen, das ist möglich. Die Routine machts – und sonst hilft ein Bacardi in der Bye-bye-Bar. Rechnen Sie beim «Fasten your Seatbelt»-Ton nicht mehr fest damit, dass gleich die Sauerstoffmaske aus dem Kabinendach ploppt, so haben Sie das Schlimmste überstanden. Eine Regel lautet: Wer gerne fliegt, schaut beim Start fasziniert zum Fenster raus. Wer das Fliegen hingegen hasst, vergräbt sein Gesicht in Lektüre. Und wenn dann endlich die Drinks serviert werden, klebt die Hand auf einer Seite mit vielen tanzenden Buchstaben, die – absolut unabhängig vom Lesestoff – beim Steigen stets den gleichen Satz bilden: «Hoffentlich ists bald vorbei, hoffentlich ists bald vorbei.» Es gibt Passagiere, die auf Langstreckenflügen zu Langstreckenläufern mutieren, die auf der ständigen Flucht vor der Thrombose durch die Gänge balancieren, «Entschuldigen Sie, so sorry!» Es gibt den Passagier, der sein Mobiltelefon permanent und demonstrativ eingeschaltet lässt, weil er, der Chuck Norris der Lüfte, es für eine urbane Legende hält, dass eine Runde Angry Birds auf dem iPhone den Airbus in Schieflage bringen kann. Und es gibt den Passagier, der sich einen Sport daraus macht, zwischen zwei Meridianen mindestens ein Dutzend Mal die Flugbegleiterin mittels Fernbedienung aufzubieten. Weil der Kopfhörer einen Wackelkontakt hat, weil eine Wolldecke nicht genügt oder weil das Eis im Whisky-Cola alle ist. Tausendfach täglich wiederholt sich diese Göttliche Komödie hoch über den Wolken. Ihr Ausgang ist immer derselbe: Man landet – Applaus –, steht auf, wartet, verlässt das Flugzeug, zeigt den Pass, wartet auf eine freie Toilette, dann aufs Gepäck, ruft: «Taxi!» Und beim nächsten Mal fängt alles von vorne an. Check-in an irgendeinem Airport irgendwo auf der Welt, obligate 90 Minuten vor dem Abflug, die Dauer eines Films. Auftritt des Ensembles: Der Vorsichtige: Er ist früh aufgestanden. Deshalb hat er viel Zeit und locker Sitz 26 F ergattern können, beim Notausgang, man weiss ja nie. Die Bordkarte hat er zu den Traveler's Cheques gesteckt, ins beige Reiseportemonnaie aus Polyester, das er an einem Gürtel unter dem Hemd trägt. Er hat sich bei seiner Frau («Das Testament ist im Safe bei der Raiffeisen»), den Kindern, seinen Eltern, Freunden und Arbeitskollegen verabschiedet und dann sein Handy ausgeschaltet. Jetzt steht er vor einer monströsen Maschine in der Abflughalle, die sein mit zwei Zahlenschlössern versehenes Gepäckstück in Plastikfolie wickelt. Der Koffer sieht nun aus wie die Leiche von Laura Palmer aus der Fernsehserie «Twin Peaks» – «wrapped in plastic». «Wenn das mal kein schlechtes Omen ist», denkt der Vorsichtige.Der Vielflieger: Er hat die Sitzung spät verlassen. Deshalb ärgert er sich jetzt ein bisschen darüber, dass er keinen Cognac (Louis XIII) mehr trinken kann in der Business-Lounge, wo die Anita arbeitet. Eingecheckt hat er online; er reist wie immer mit Weekender (LVMH) und offenem Laptop (PC, Excel). Als er beim Gate ankommt, hört er seinen Namen über die Lautsprecheranlage: «Last call for Mr ––– .» Die Aufforderung der Flughafenmitarbeiterin, sein Handgepäck – «wenn Sie so gut sein wollen» – in die quadratische Prüfvorrichtung zu prügeln, quittiert er mit bösem Blick. «Unter dem Bruggi war das noch anders», denkt der Vielflieger.Der Panikraucher: an dieser Stelle ein kurzer Exkurs, ganz im Dienste der Gesundheit: Wer sich das Rauchen dauerhaft abgewöhnen will, dem sei ein Besuch des «Smoking Room» im Suvarnabhumi Airport in Bangkok an die Lunge gelegt. Er befindet sich im hintersten Winkel, ein von Buddha und der Putzequipe vergessener Raum. Das Kabäuschen misst keine 10 Quadratmeter, und doch sieht man die gegenüberliegende Wand kaum. Ein monotones Geräusch gaukelt den Rauchabzug vor, hier wird inhaliert, nicht kommuniziert. Die Süchtigen tauschen klebrige Blicke aus. Der Panikraucher also. Ihm ist es egal, entwürdigende Orte aufzusuchen, im giftigen Nebel oder wie ein Tier im Zoo hinter einer dicken Glasscheibe zu sitzen. Hauptsache, der Nikotinpegel ist bereits auf Flughöhe, wenn die Maschine anrollt. Ein paar Stunden später wird er von allen Filmen die erste Viertelstunde gesehen, die Hälfte seiner Nudeln verspeist und fünf Kompensationsbiere getrunken haben. Auf der Toilette denkt der Panikraucher: «Ob dieser Feuermelder wirklich funktioniert?» Der Transitpassagier: Setzt er nicht gerade zu einem fulminanten Spurt zum nächsten Gate an, richtet er sich ein. Von Zeit zu Zeit deckt er sich im Duty-free-Shop mit günstigen Süssigkeiten ein oder sucht die Toilette auf, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Legt er sich der Länge nach auf drei oder vier Sitze, benutzt er sein Reisegepäck als Kopfkissen. Die Mühe, die bananenförmige, aufblasbare Nackenstütze abzunehmen, macht er sich nicht. Also schlurft er mit seinem an Graf Dracula erinnernden Accessoire durchs Zollfreiland und schlägt sich die Zeit bis zum Weiterflug mit Blättern im Lonely-Planet-Reiseführer tot. «Nie mehr über Dubai», denkt der Transitpassagier.Die Bequemen: Uniformen sind am Flughafen nichts Aussergewöhnliches. Selbst Paare, die zusammen weit gereist sind, kommen überall erstaunlich gleichförmig daher. Sie trägt: eine Bequemhose (auch Loungewear genannt), meist aus luftiger Baumwolle, dazu einen Schal, in dem ihr Kopf zu versinken droht, Ballerinas oder weisse Nikes. Er trägt: Cargo-Hosen (deren unzählige Taschen bei der Sicherheitskontrolle regelmässig lange Staus provozieren), T-Shirt und Outdoor-Schuhe von Jack Wolfskin. Sie denkt: «Hoffentlich hat er die Pässe eingepackt.» Und er denkt dasselbe. «Cabin crew, ready for take off.» 200 Tonnen Stahl setzen sich in Bewegung. Die Mitglieder des Ensembles nehmen ihre Positionen ein. Auf 30 000 Fuss denkt der Kapitän: «Sie ist schon einzigartig, unsere Erde.» Flughafen Zürich, 2002: Warten in bequemer Reisekleidung. Foto: Gaëtan Bally (Keystone) Vielflieger im Dienste des Herrn: Nonnen beim Einchecken. Foto: Steffen Schmidt (Keystone) «Hoffentlich ists bald vorbei»: Flugpassagiere in Kloten. Foto: Steffen Schmidt (Keystone) «Nie mehr über Dubai»: Transitpassagierin in Singapur. Foto: Getty Images
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