Die Heiligsprechung des Steve J.
Die Verehrung von Steve Jobs, dem Mitbegründer der Firma Apple, trägt religiöse Züge. Das ist abstossend, aber typisch. Ein Blick auf die Apfelsekte.

Graue Glatzen marschieren, reihen sich vor einem flackernden Bildschirm auf, sitzen reglos da, hören wortlos ihrem Führer zu. Eine junge Frau kommt angerannt, sie ist blond, schön und hat einen grossen Hammer dabei. Polizisten in Kampfmontur versuchen sie einzuholen und aufzuhalten, doch sie läuft schneller, drängt zwischen die Reihen, bleibt stehen, schreit und schleudert den Hammer nach vorne.
Der Bildschirm explodiert, die Masse erwacht jäh, befreit von ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit. Es ist der 22. Januar 1984 in Amerika, in zwei Tagen wird Apple seinen Macintosh-Computer präsentieren: «And you'll see», verspricht das Unternehmen zum Ende dieses einen, besonderen Werbespots, «why 1984 won't be like ‹1984›.»
27 Jahre nach dem arischen Hammerwurf gehört Apple zu den einflussreichsten Unternehmen für Mobiltelefone, Computer, Tablets und Software. Die Firma hat neue Märkte erschlossen und Ergonomie, Design und Marketing der Branche revolutioniert. Die Konkurrenten verkaufen Elektronik, Apple ein Lebensgefühl. «Think different», der langjährige Slogan des Konzerns, lässt sich als neue Form der Abrichtung begreifen: Millionen feiern ihr Konsumverhalten als Ausdruck von Individualität.
Die anderen Nutzer nennen sie Microsklaven und führen im Internet einen Glaubenskrieg über das perfekte Betriebssystem. Eröffnet Apple einen neuen Laden, wartet die Gemeinde schon am Vorabend an der Eingangstür. Lanciert die Firma ein neues Gerät, macht sie die Ankündigung zur globalen Zeremonie. Neurowissenschafter haben herausgefunden, dass Bilder von Apple-Produkten bei Usern dieselben Hirnregionen stimulieren wie religiöse Symbole bei Gläubigen.
Die Wahrheit sieht anders aus
Im Fokus dieser Verzückung steht oder stand Steve Jobs, der 56-jährige Apple-Mitbegründer, ein Unternehmer und Innovator, ein Tyrann und Selbstverkäufer. Seine Einfälle, Entscheide und Karrieresprünge füllen Bücherwände. Seine Auftritte lösten Verehrungsschübe aus, seine Krankheit steckte die Börse an, sein Krebstod am Mittwoch provozierte weltweite Erschütterung.
Das wirkt ziemlich abstossend; überraschend kommt es nicht. Mit einem Personenkult, wie man ihn von Sektenführern kennt, wusste Jobs die Firma und ihre Produkte an sich zu binden. Als sei jeder neue iPod seiner Rippe entwachsen, als führe er die Menschheit in eine strahlend friedliche, da kommunikative Zukunft.
Die Wahrheit sieht anders aus. Apple hat unter Steve Jobs wiederholt den Datenschutz unterlaufen, es drangsaliert seine Zulieferer, kontrolliert die Kunden und schottet sich zugleich nach aussen ab. Während der Chef John Lennon zitierte und sich als grosser Kommunikator feiern liess, liess seine Firma ihre überteuerten Geräte auch in Billigländern und zu schrecklichen Arbeitsbedingungen zusammenbauen.
Unternehmer, keine Heilsfigur
Steve Jobs war ein Unternehmer, keine Heilsfigur. Er war innovativ, nicht selbstlos. Er hat praktische und elegante Geräte mit entwickelt. Kult und Marketing lassen vergessen, dass es nicht auf die Geräte ankommt, sondern was man damit macht. Der Text entscheidet, nicht die Tastatur.
PS: Kennen Sie Norman Borlaug? Der amerikanische Agrarwissenschafter wurde 1970 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Er hatte eine neue Weizensorte entwickelt, deren Zwergwuchs sicherstellt, dass die schweren Ähren nicht abknicken. Seine Züchtung erlaubt weit grössere Ernten als zuvor. Sie ernährt Hunderte von Millionen Menschen.
PPS: Zu Norman Borlaug finden sich im Internet 546'000 Einträge. Bei Steve Jobs sind es 1,57 Milliarden.
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