Die grünen Wohlstandsbürger
Die Grünen haben wie keine andere Partei dem materiellen Wohlstand abgeschworen. Gewählt werden sie jedoch vorwiegend von jenen, die keine Geldsorgen haben.

Grün sein muss man sich leisten können. Nicht nur als Gesellschaft, auch als Individuum. Die Erklärung ist deshalb rasch zur Hand, wenn es um die Gründe für die spektakulären Wahlerfolge der deutschen Grünen geht, so wie zuletzt in Bayern oder, gemäss Prognosen, diesen Sonntag möglicherweise auch im Bundesland Hessen.
Als «Partei der Wohlstandskinder», wie sie in der Presse bezeichnet wurden, wollen sich die Grünen aber unter keinen Umständen verstanden haben. Kein Wunder: Schliesslich ist für eine Partei, die wie keine andere zum «Postmaterialismus» tendiert, wie das Soziologen nennen, die also dem materiellen Wohlstand abgeschworen und sich stattdessen einer besseren Gesellschaft und der Zukunft des Planeten verschrieben hat, die Behauptung, sie sei eine Luxuserscheinung, eine schlimme Beleidigung.
In Ostdeutschland warten die Menschen lieber noch etwas weiter auf die «blühenden Landschaften», die ihnen einst versprochen wurden.
Doch die statistischen Befunde ergeben ein ziemlich klares Bild: Die deutschen Grünen schneiden in wohlhabenden und strukturstarken Städten und Gemeinden überdurchschnittlich gut ab und in ärmeren, strukturschwachen überdurchschnittlich schlecht. In Ostdeutschland sind sie dementsprechend schwach vertreten. Dort warten die Menschen lieber noch etwas weiter auf die «blühenden Landschaften», die ihnen einst versprochen wurden, als dass sie eine Partei wählen, die ihnen jetzt schon erklärt, dass Wohlstand nicht alles ist.
In der Schweiz sieht die Ausgangslage für die Grünen ähnlich aus wie in Deutschland. In den grössten Städten sind hier zwar immer noch die Sozialdemokraten die mit Abstand stärkste Partei; in Basel, Zürich, Genf, Lausanne, Bern und Winterthur stellen sie 40 Prozent der Exekutivmitglieder. Doch die Grünen liegen mit 23,2 Prozent inzwischen weit vor den Bürgerlichen auf Platz zwei. Gemeinsam regiert Rot-Grün in den sechs grössten Städten also beinahe mit einer Zweidrittelmehrheit.
Auch sonst bietet sich ein ähnliches Bild der grünen Wohlstandsbürger: Die Grünen haben den grössten Teil an Universitätsabgängern und den kleinsten an Absolventen einer Berufslehre. Sie weisen den höchsten oder zumindest einen sehr hohen Anteil an Angestellten und Beamten auf und den kleinsten an Arbeitern und Gewerbetreibenden. Dass sie nicht auch bei den Einkommen ganz vorne sind, liegt daran, dass grüne Wähler überdurchschnittlich oft Teilzeit arbeiten oder studieren, wie eine Studie zu den Kantonswahlen 2016 im «Durchschnittskanton» Aargau zeigt.
Die Grünen neigen, wie alle Gruppierungen, die sich die Verhinderung des Weltuntergangs zum Geschäftsmodell gemacht haben, leicht zu missionarischem Eifer und religionsähnlicher Intoleranz.
Unklar ist nur, wieso sich die Grünen dagegen wehren, als Wohlstandskinder bezeichnet zu werden. Dabei liegt ja auf der Hand, dass erst der Wohlstand ökologisches Handeln möglich macht. Wer knapp seine Miete bezahlen kann, obwohl er abgelegen wohnt und auf das Auto angewiesen ist, um zur Arbeit zu fahren, der pfeift auf Road-Pricing, CO2-Werte und Bio-Salat. Wer hingegen im umgebauten ehemaligen Arbeiter-Reihenhäuschen im neuen Trendquartier wohnt und per Velo ins Büro fährt, der leistet sich das als Beitrag zur Rettung der Welt. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Das Unangenehme ist nur, dass Grüne wie alle Gruppierungen, die sich die Verhinderung des Weltuntergangs zum Geschäftsmodell gemacht haben, leicht zu missionarischem Eifer und religionsähnlicher Intoleranz neigen.
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