Die grausame Welt der Tomatenpflücker
Gerichtsunterlagen zeigen, wie schlecht die Arbeitsbedingungen von Erntearbeitern in Italien sind. Die von ihnen gepflückten Tomaten landen auch in Läden von Coop und Migros.

Vor zwei Jahren starb Abdullah Muhammed. Der 47-jährige sudanesische Migrant arbeitete in der süditalienischen Stadt Nardo als Tomatenpflücker. Der «Guardian» berichtet, dass der zweifache Familienvater noch am Leben sein könnte, hätte ihn sein Arbeitgeber rechtzeitig zum Arzt geschickt.
Das geschah nicht. Der mit einer Aufenthaltsbewilligung ausgestattete Muhammed erlag einem Herzinfarkt. Es handle sich um eine ungeheuerliche Verletzung der Sicherheitsvorschriften, so die zuständige Staatsanwältin Paola Guglielmi. Denn sein Tod sei absolut unnötig gewesen.
Prekäre Bedingungen
Der britischen Zeitung liegen Gerichtsunterlagen vor, die insgesamt ein schlechtes Licht auf die italienische Tomatenindustrie werfen. Die Branche setzt jährlich mehr als 3 Milliarden Euro um. Die Arbeitsbedingungen sind aber offenbar prekär. Staatsanwältin Guglielmi sagt gegenüber dem «Guardian», dass es sich um absolut ausbeuterische Bedingungen handle. Die Tomaten landen auch in den Dosen der grossen italienischen Hersteller Cirio und Mutti. Die Produkte von Cirio werden auch von Coop und LeShop, der Onlinetochter der Migros, verkauft.
Coop reagiert zurückhaltend. «Wir erwarten, dass unsere Geschäftspartner die gesetzlichen Vorgaben auch in Bezug auf Sozialstandards bei sich und in den vorgelagerten Stufen einhalten. Dazu verlangen wir von unseren Geschäftspartnern die Einhaltung unserer Richtlinie nachhaltige Beschaffung», erklärt eine Sprecherin des Detailhändlers. Auch Conserve Italia als Hersteller von Cirio sei verpflichtet, die Richtlinie einzuhalten. «Wir sind diesbezüglich bereits in Kontakt.»
Aus der Luft überwacht
Ähnlich klingt es bei der Migros. Eine Sprecherin teilt mit, dass die Migros keine unwürdigen Arbeitsbedingungen, illegale Beschäftigung und Ausbeutung in der Lieferkette in Italien oder in anderen Ländern toleriere. Die Migros-Tochter LeShop sei daran, die Situation mit ihrem Lieferanten Cirio abzuklären. Der Detailhandel sei allerdings nicht in der Lage, die Einhaltung der Gesetze im Früchte- und Gemüseanbau in Italien sicherzustellen, so die Sprecherin. Aufgrund der grossen Herausforderungen, die durch die Migrationsströme in Italien entstehen, würde sich die Migros stark engagieren, um ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen.
Einfach scheint das aber nicht zu sein. Staatsanwältin Guglielmis Dokumente lassen einen tiefen Einblick in die Welt der Migranten zu. Die Arbeitstage der Tomatenpflücker sind lang. Sie beginnen um 4 Uhr morgens und enden um 17 Uhr abends. Die Feldarbeiter pflücken die Früchte offenbar ohne Pause und an sieben Tagen die Woche. Die Löhne fallen bescheiden aus: 30 Euro sind es pro Tag. Die Hälfte davon wird ihnen von ihren Vermittlern abgezogen. Sie müssen damit für die Unterkunft, die Ernährung und den Transport bezahlen. Zudem haben die Arbeiter keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.
Hersteller will Zulieferer zur Rechenschaft ziehen
Die Staatsanwältin liess gegen die Arbeitgeber der Tomatenpflücker mit Methoden ermitteln, wie sie sonst eher bei Mafiosi zum Einsatz kommen. Telefone wurden abgehört und Tomatenfelder aus der Luft überwacht. Das ist offenbar besonders schwierig, da die Feldarbeiter nicht bei den Bauern angestellt sind, sondern für sogenannte Caporalatos arbeiten. Das sind Anführer von informellen Arbeitsgruppen, die meist aus Migranten bestehen. Die Gruppen werden von Bauern für ihre Feldarbeit angeheuert. Offenbar gehen einige Caporalatos besonders skrupellos mit ihren Arbeitnehmern um, wie das Schicksal von Abdullah Muhammed zeigt.
Ein Sprecher von Conserve Italia, dem Konzern hinter der Marke Cirio, sagte dem «Guardian», dass man von Situationen wisse, die nicht konform seien. Doch das liege ausserhalb des Einflussbereiches des Unternehmens. Man verlange aber von den Zulieferern, die Menschenrechte zu respektieren.
Problemfeld abgelegene Höfe
Die Firma will nun die Zulieferer verklagen, weil sie den Ruf des Unternehmens als die «ethischste Firma der Branche» beschädigt hätten. Auch Mutti reagierte auf den Bericht. Die Firma hielt fest, dass man alles unternehme, um dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern in Ordnung seien.
Offenbar sei die Situation auf abgelegenen Höfen besonders schlecht. Dort greife die Aufsicht kaum. Die Interessen der Bauern, lokalen Politiker und der verarbeitenden Firmen würden sich decken, so eine Vertreterin einer regionalen Arbeitnehmerorganisation.
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