Die Geister der Vergangenheit
Der frühere Glarner Nationalrat und Preisüberwacher Werner Marti wurde in den Neunzigerjahren vor Gericht gezerrt. Jetzt droht seinem Sohn dasselbe.

Beide kommen aus Sool im hinteren Glarnerland. Beide sind Rechtsanwalt, Mitglied der sozialdemokratischen Partei, Offizier, dreifacher Vater. Was sie trennt, ist eine Generation. Der eine ist der Vater, der andere der Sohn.
Nun werden die beiden Lebensläufe von Werner Marti, dem früheren Nationalrat und Preisüberwacher, und seinem Sohn Jacques, Landrat im Kanton Glarus, um eine weitere Parallele ergänzt. Gegen den 34-jährigen Jacques Marti ermittelt ein ausserordentlicher Staatsanwalt. Es gehe um Amtsmissbrauch und Berufsgeheimnisverletzung, sagte dieser den Medien. Mehr weiss man nicht. Glarner, die älter als 35 sind, haben ein Déjà-vu: Der Vater Werner Marti hatte sich in den Neunzigerjahren in derselben Situation befunden wie jetzt sein Sohn. Auch gegen ihn wurde ermittelt. Es ging um Veruntreuung und Urkundenfälschung. Auch damals wurde ein externer Staatsanwalt beauftragt, einer aus Zürich. Diesmal ist es ein Bündner.
Fehler in grauer Vorzeit
Damals in den Neunzigerjahren war es Werner Martis ehemaliger Geschäftspartner Alban Brodbeck, der die Vorwürfe gegen ihn erhob. Marti hatte die gemeinsame Anwaltskanzlei verlassen und Kunden mitgenommen, Jahre später war er mit Geldforderungen seines früheren Compagnons konfrontiert. Der Konflikt schwelte monatelang und wuchs zur Staatsaffäre, als aufgrund von Medienberichten strafrechtlich ermittelt wurde. Marti kam vor Gericht und wurde in allen Punkten freigesprochen. Er mochte in grauer Vorzeit einmal einen formalen Fehler gemacht haben beim Bearbeiten eines Dokuments. Doch der Richter sah weder Vorsatz noch Schaden.
Das Medienecho war riesig, die Mediendatenbank zählt hunderte von Artikeln zum Prozess gegen Werner Marti. Eine zartere Natur, sagte dieser nach dem Freispruch, wäre daran zerbrochen. Doch er ging als Sieger daraus hervor, und es stellte sich rückblickend die Frage, was der eigentliche Grund war für die Hetzjagd. Womöglich Neid? Der Verdacht lag auf der Hand, weil Rechtsanwalt Brodbeck inzwischen nicht nur ein beruflicher, sondern auch ein politischer Konkurrent geworden war. Auch Brodbeck politisierte in der SP und kandidierte 1990 erfolglos für den Ständerat. Marti wurde ein Jahr später in den Nationalrat gewählt – das exklusivste Amt, das im Kanton Glarus zu vergeben ist. Glarus hat in der Volkskammer nur einen Sitz, und der geht traditionell an einen Bürgerlichen. Wenn es ausnahmsweise ein Sozialdemokrat schafft, dann nur, wenn er erstens trotz SP-Parteibuch genügend bürgerlich politisiert und zweitens beliebt ist. Auf Werner Marti traf beides zu.
Temporeiche Karrieren
Auffällig war, in welchem Tempo Vater Marti seine politische Karriere vorantrieb. Als er vor Gericht stand, war er 39 Jahre alt und hatte erreicht, was andere nicht einmal bis zum Pensionsalter schaffen: erfolgreicher Rechtsanwalt, Regierungsrat, Nationalrat, eidgenössischer Preisüberwacher. Und es gab keine Hinweise darauf, dass er seine Ambitionen irgendwann zügeln würde. Als SP-Bundesrat Otto Stich Mitte der Neunzigerjahre zurücktrat, kandidierte Marti als Nachfolger, unterlag in der Fraktion aber Moritz Leuenberger. Es war die Zeit, als im Heimatkanton erstmals Vorwürfe gegen ihn laut wurden.
Heute ist der Sohn Jacques auf der Überholspur. Während seine Altersgenossen noch ihre spätpubertäre Phase auslebten, erwarb er das Anwaltspatent, wurde Landrat und SP-Fraktionschef und umschrieb in einem Interview sein Lebensmotto folgendermassen: «Unermüdliche Arbeit überwindet alles.»
Bei den eidgenössischen Wahlen 2015 kandidierte Jacques Marti für den Nationalrat und forderte damit den BDP-Amtsinhaber Martin Landolt heraus. Es gelang ihm nicht, Landolt den Sitz wegzunehmen. Doch es war klar: Das war nicht Jacques Martis letzter Versuch. Gibt es Leute, die ihn bremsen wollen? Bei seinem Vater war dies offensichtlich der Fall gewesen. Selbst seine SP nutzte den Prozess gegen ihn, um ein Verbot der «Ämterkumulation» zu fordern, wie Werner Marti sie betrieb.
«Jedes Mal vor den Wahlen»
Rolf Hösli, Redaktionsleiter der «Südostschweiz» in Glarus, sagt: «Auffällig ist, dass eine solche Geschichte jedes Mal vor den Wahlen aufkommt.» Anfang 2018 wird der Glarner Regierungsrat neu bestellt, und die SP wird mit Sicherheit ihren vor drei Jahren verlorenen letzten Sitz zurückerobern wollen. Wer würde sich für dieses Vorhaben besser eignen als der charismatische Jungpolitiker Jacques Marti, Hobbyschütze, Vereinsmensch und «SCB-Hardcorefan», wie er sich nennt?
Rolf Hösli sagt auch, dass diese Geschichten viel Staub aufwirbelten, aber eine beschränkte Wirkung hätten. Das zeige die Wiederwahl von SVP-Ständerat Werner Hösli, kurz nach dessen erstinstanzlicher Verurteilung wegen Verletzen der Aufsichtspflichten als Bankrat der Kantonalbank. Und das zeigten andere Beispiele. Nicht zuletzt der Fall Werner Marti, dem die Schlacht nicht schadete. Er wurde zwar nicht Bundesrat, aber die Glarner wählten ihn bis zu seinem Rücktritt aus dem Nationalrat 2008 stets wieder. Heute ist er Präsident der Billag. Sohn Jacques geht derzeit in Deckung. Reden werde er wieder, wenn die Sache abgeschlossen ist, sagt er.
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