Porträt einer ZeitungsverträgerinDie Freundin der Herrgottsfrühe
Frühstücken und dazu eine Zeitung lesen – ein Stück Normalität in Zeiten von Corona.

«Ich mache diesen Job einfach unheimlich gern, ich liebe ihn», sagt Heidi Kuhn. Die 66-jährige Zwingenerin stellt seit neun Jahren in aller Herrgottsfrühe Zeitungen und Zeitschriften zu. «Basler Zeitung», «Schweizer Familie», «Weltwoche», die «Basellandschaftliche Zeitung», NZZ, «Annabelle», den «Blick» und den «Tages-Anzeiger». Mehr als 200 Kunden bediene sie an sechs Tagen die Woche. Unterwegs ist sie ausgerüstet mit einer Stirnlampe und einem elektrischen Zustellfahrzeug. «Ich möchte keinen anderen Job.»
Zum ersten Mal kam sie durch ihre Tochter mit dem Job der Zeitungszustellerin in Berührung. Die Tochter hatte bereits eine Tour. Sie liess sich von Mutter Heidi begleiten. «Es gefiel mir so gut, dass ich das weiterhin tun wollte», blickt Kuhn zurück. Der Zeitpunkt kam. Die Presto AG suchte jemanden, der in Muttenz in den Service für Zeitungsleserinnen und -leser einsteigen wollte. Heidi Kuhn griff zu.
Kürzlich wurde ihre Geduld auf die Probe gestellt. Sie musste wegen Corona eine Woche zu Hause bleiben. Mit 66 ist sie Angehörige einer Risikogruppe. «Ich war gottenfroh, als der Chef sagte, wenn du freiwillig zur Arbeit kommen willst, darfst du das – ich zögerte keine Sekunde.»
Der ganz persönliche Rhythmus
Heidi Kuhn steht um 1 Uhr auf. Eine Stunde später beginnt sie ihre Tour in Muttenz. Zwei Stunden dauert diese. Sie möge es, alleine unterwegs zu sein, Verantwortung zu übernehmen, ihr Gedächtnis zu gebrauchen. «Ich weiss, welcher Kunde wann welches Produkt bekommen muss.» Zwischen 19 und 20 Uhr gehe sie zu Bett. Ihr Rhythmus. Auch sonntags oder in den Ferien stehe sie deswegen spätestens um 4 Uhr auf.
In den neun Jahren auf ihrer Tour durchs nächtliche Muttenz sammelte Heidi Kuhn einige Erlebnisse. Zumeist gute. Dazu erstaunliche. Einst war sie mit ihrer Tochter gemeinsam unterwegs. Zuerst die Tour der einen, dann jene der anderen wollten sie absolvieren, als ihnen morgens um drei Uhr eine ausgebüxte Kuh über den Weg lief. «Wir riefen die Polizei und blieben bei der Kuh, bis der zuständige Bauer ausfindig gemacht werden konnte», erzählt sie. Ebenfalls morgens um drei machten Kuhn und ihre Tochter unerwartet Bekanntschaft mit einem Jogger. «Er kam plötzlich aus dem Wald gelaufen, ganz in Schwarz gekleidet», so Heidi Kuhn, «ich erschrak sehr.»
Der Tiefpunkt
Doch es gab auch schwierige Momente. Erneut war Kuhn mit ihrer Tochter unterwegs. Diese habe in einer Strasse das Auto gewendet, als unvermittelt ein Mann dahinter aufgetaucht sei, sehr nahe gekommen sei und sie beide fotografiert habe. Ausgestiegen sei die Tochter, um nachzufragen, wo das Problem liege. «Ihr seid das Problem», habe dieser erwidert und Lärmbelästigung geltend gemacht. Heidi Kuhn sagt, sie sei sich absolut sicher, nie Lärm durch schliessende Autotüren verursacht zu haben, denn sie hätten die Türen erst am Ende der Strasse ganz geschlossen.
Heidi Kuhn erzählt, wie sie inzwischen selbst ausgestiegen, von diesem Anwohner geschubst und schliesslich von dessen Frau in die Beine getreten wurde. So stark, dass sie zusammengesackt sei. «Die Tour haben wir trotzdem durchgezogen, und am nächsten Tag erschien ich wieder zur Arbeit.» Kuhn liess sich die Verletzungen von einem Arzt bestätigen, erstattete Anzeige. So sehr Heidi Kuhn ihren Job liebt, dieses Erlebnis ist nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Auf fröhliche Erzählungen folgen abrupt nachdenkliche Worte.
Corona hingegen habe ihre Welt kaum verändert, sagt Kuhn. «Ich halte mich an die Weisungen, mache Menüpläne für zwei bis drei Wochen und gehe entsprechend selten einkaufen.» Die frühere Hundenärrin bleibt zu Hause und liest gern. «Nur Schnulzen», lacht sie. Bis alles wieder normal laufe, wolle sie dies so beibehalten. In Muttenz ändert sich für sie sowieso nichts. «Ich mache diesen Job einfach unheimlich gern.»

Fehler gefunden?Jetzt melden.
In dieser Zeitung wurde ein Hinweis gedruckt: Möglicherweise verspätet sich die Zustellung der Zeitung, weil keine Ü65 mehr zum Zeitung austragen angestellt werden. Was augenscheinlich durch Freiwilligkeit ausgehebelt wird.
Frau Kuhn mag ich den Job gönnen, aber eben.....