Die erste Schoggi aus dem Kongo
In einer der gefährlichsten Regionen der Welt produziert ein Ehepaar Schokolade. Sie soll auch in der Schweiz erhältlich sein.

Ein süsser Duft steigt aus den Aluminiumtöpfen auf. Zwei Mitarbeiterinnen von Cocoa Congo rühren den klebrigen Brei über dem Feuer, damit nichts anbrennt. Sie kichern, wirken ein wenig verlegen. Sie glauben es selbst noch nicht, dass sie echte Schokolade herstellen. Ausgerechnet in Goma, im Osten der Demokratischen Republik Kongo, haben Adèle Gwet und ihr Mann Matthew Chambers die erste Schokoladenproduktion des Landes gegründet.
Der Kongo ist bekannt für Gewalt und Korruption, für Ebola und Armut. Wirtschaftsvertreter beschreiben das riesige Land im Herzen Afrikas als «Tummelplatz für abenteuerlustige Investoren», wirklich nur geeignet für «Afrikakenner».
Richtige Mischung gesucht
Letzteres gilt für Gwet. Die 34 Jahre alte Finanzexpertin ist in Kamerun aufgewachsen und hat in Kenia Betriebswirtschaft studiert. Nun sitzt sie etwas angestrengt an ihrem Schreibtisch, stylish gezimmert aus Holzresten. Die letzten drei Monate waren hart. Gwet hatte wenig Ahnung von Schokolade. Sie las Rezepte im Internet, holte sich Tipps von befreundeten Chocolatiers. Sie röstete Kakaobohnen in der Pfanne, suchte nach der richtigen Mischung aus Milchpulver, Zucker und Rohmasse.
Inzwischen hat die Firma einige Hundert Tafeln Schokolade hergestellt und 250 Kilogramm Kakaomasse an Chocolatiers in Kenia, Kanada und den USA geliefert. Produziert wird zu Hause bei der Chefin, in der Küche im Anbau. Im ersten Quartal 2019 soll Cocoa Congo 20'000 Tafeln pro Monat fertigen. Ein kanadischer Supermarkt will die Schokolade in sein Sortiment auf-nehmen. Eine europäische Handelskette plant, sie in ihren Geschäften in Ostafrika zu platzieren. Ausserdem sollen Kunden die Schokolade online kaufen können, auch in der Schweiz.

Ob die kongolesische Süssigkeit mit den Produkten westlicher Chocolatiers mithalten kann? Immerhin feilen die traditionellen Hersteller seit über 100 Jahren am Geschmack, und die Gaumen der Kunden in Europa und Amerika sind verwöhnt. Ob solcher Zweifel wird Chambers energisch. Der Amerikaner investiert mit Unterstützung des britischen Entwicklungsministeriums umgerechnet 250'000 Franken in Cocoa Congo. «Wir exportieren nicht nur einen Rohstoff wie so oft in Afrika. Wir schaffen einen Mehrwert und vermitteln Wissen», betont er. Die Firma bezahlt laut Chambers 20 Prozent mehr für die Kakaobohnen als üblich. Die Mehrheit der Lieferanten seien Bäuerinnen. Sie würden geschult, damit sie Umwelt- und Sozialstandards einhielten.
Lieferungen als Glückssache
Sechs der zehn Festangestellten bei Cocoa Congo sind ebenfalls Frauen. Längerfristig will Chambers 15 Prozent der Firmenanteile für die besten Mitarbeiter reservieren. Soziales Engagement und Frauenförderung in einem notorischen Krisengebiet, das müsste die Kunden überzeugen, findet der 40 Jahre alte Investor.
Während er für sein Anliegen wirbt, rattert im staubigen Hof der Generator. Wegen ständiger Stromausfälle verzichtet Cocoa Congo zunächst weitgehend auf Maschinen. Frauen rösten, mahlen und kochen den Kakao von Hand. Nur für die letzte Schmelze der Schokolade verwenden sie einen elektrischen Wärmeregler. Er bestimmt, ob die Tafel hart oder zart wird.
Manchmal müssen die Frauen lange warten, bis die Kakaobohnen ankommen. Passagierbusse nehmen die Säcke aus dem 300 Kilometer entfernten Beni mit. Die Busse müssen einen Wald durchqueren, wo Milizen morden und plündern. Die Pisten führen über Geröll, Schlamm und durch Schlaglöcher. Es ist Glückssache, ob die Lieferung durchkommt.
Cocoa Congo bezahlt 20 Prozent mehr für die Kakaobohnen als üblich.
Gwet und Chambers leben seit fünf Jahren mit den Gefahren im Kongo. Eine persönliche Mission treibt sie an. «Wir zeigen der Welt, dass der Kongo nicht nur Krieg ist», sagt der Ökonom und Anthropologe Chambers. Zunächst wollte er Gold exportieren, das unter sozial- und umweltverträglichen Bedingungen geschürft wird. Weil es schwieriger war als erwartet, genug solches Gold zu finden, gründete er die Schokoladenfirma. «Viele schürfen ja nur unter widrigen Umständen Rohstoffe, weil die Kakao- und Kaffeepflanzen während der Gewaltausbrüche verrottet sind», sagt Chambers.
Die internationale Kakao-Organisation führt den Kongo unter «sonstige Länder in Afrika» in der Statistik. Diese liefern insgesamt 128000 Tonnen Bohnen pro Jahr. Marktführer Elfenbeinküste bringt es auf 2 Millionen Tonnen. Andere Länder wie Kamerun oder Nigeria produzieren jeweils um die 250000 Tonnen.
Der Kunstgriff
Zum Einstieg in den westlichen Markt hat sich Gwet etwas Besonderes ausgedacht: Lokale Künstler malen Bilder auf einrobustes Papier, in dieses verpacken die Mitarbeiterinnen die Schokolade. Die Firma legt eine Anleitung bei, wie man das Bild rahmen kann. «Die Schokolade wird gegessen, aber das Bilderinnert dauerhaft an denKongo», erklärt Gwet. Will heissen: Die Kunden bezahlen nicht nur für die Schokolade, sondern auch fürs gute Gewissen. DiePackung mit drei Kunsttafeln zu 50 Gramm kostet 20 Franken.
Der Aktivistin Silvie Chishungu Zawadi gefällt die Initiative von Cocoa Congo. Sie hält jede Förderung von Frauen für eine gute Sache, «weil das der gesamten Gesellschaft nützt». Auch könne die Schokolade den schlechten Ruf ihres Heimatlandes verbessern. Doch stört Zawadi, dass alle Ware exportiert wird. Cocoa Congo solle auch den heimischen Markt beliefern – zu einem erschwinglichen Preis.
Wenn jemand aus dem Kongo nach Europa reist, mahnen Freunde und Familie, möge man nicht ohne Schokolade zurückkommen. «Vielleicht bringen sie bald Tafeln made in Goma aus Europa mit», sinniert Zawadi. «Das wäre ein Witz.»
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