Jansen purDie Ehe für alle ist nicht genug!
Mit dem neuen Gesetz ist es nicht getan. Die Gesellschaft muss sich weiter für die immer noch benachteiligten lesbischen Frauen und Transmenschen einsetzen.

Unzählige Menschen haben jahrzehntelang dafür gekämpft, auf Strassen, in Parlamenten und an Küchentischen. Der Abstimmungssonntag am 26. September verspricht zu dem historischen Tag zu werden, an dem sich diese Bemühungen auszahlen: Ehe für alle! Gleichstellung für alle! Endlich.
In den letzten Jahren ist der Widerstand gegen das Eheanliegen auf eine kleine Gruppe zusammengeschmolzen, die sich wahlweise hinter Bibelversen oder altertümlichen Ehedefinitionen versteckt. Die Mehrheit allerdings scheint es endlich begriffen zu haben: Grundrechte für alle bedeuten eben auch eine Ehe für alle. Wenn ich an die Annahme der Vorlage im September denke, kommen mir kitschige Bilder von Liebenden in den Sinn, von glücklichen Menschen, die sich in den Armen liegen, und von Regenbogenfamilien, die gemeinsam durch den Zoo schlendern. Das Ganze klingt fast zu schön, um wahr zu sein – und genauso ist es auch.
Selbst wenn die Ausweitung des Rechts auf Ehe ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung queerer Menschen in unserer Gesellschaft darstellt, so darf nicht vergessen gehen, dass bei der Vorlage, über die wir im September abstimmen, zwar von «allen» gesprochen wird, aber eben nicht «alle» gleichgestellt werden. Während schwule Paare die gleichen Rechte erhalten wie Hetero-Paare, bleiben Lesben einmal mehr auf der Strecke – und mit ihnen ihre Kinder. Der Zugang zur Elternschaft von beiden Partnerinnen wird frauenliebenden Frauen nur bei Samenspenden aus medizinischen Samenbanken in der Schweiz gewährt, nicht aber bei privaten oder ausländischen Samenspenden.
Das führt dazu, dass Kinder und Eltern rechtlich wesentlich schlechtergestellt sind, wenn sie sich die teuren medizinischen Samenbanken in der Schweiz nicht leisten können. Das Nachsehen haben also insbesondere finanziell schlechtergestellte lesbische Frauen. Dass ein solches Gesetz private oder ausländische Samenspenden unterbinden würde, ist übrigens eine Illusion. Regenbogenfamilien aus allen Schichten sind heute in der Schweiz Realität und werden es weiterhin bleiben. Und genau hier tut sich ein Problemfeld auf, das keines hätte sein müssen. Denn auch nach der Annahme der Ehe für alle wird es nun Kinder geben, deren Schutz nicht garantiert ist, falls ein Elternteil aus dem Leben verschwindet. Ein Problemfeld, das sich auch als strukturelles Versagen lesen lässt.
Transmenschen sind öfter arbeitslos und suizidgefährdeter
Es zeigt sich hier nämlich ein Phänomen, das wir historisch nur zu gut kennen: Die Gleichstellung von diskriminierten Gruppen fokussiert meist nur auf ihre privilegiertesten Mitglieder. Im politischen Fokus stehen jeweils nur jene Menschen, die minimal von der Norm des finanziell gut aufgestellten, heterosexuellen Mannes abweichen. Das war bereits bei der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung der Fall, als vor allem die Erfahrungen von schwarzen Männern thematisiert und aufgearbeitet wurden, wie auch in der Frauenbewegung, in der die Bedürfnisse von schwarzen Frauen weitgehend unsichtbar blieben. Auch im Fall der Ehe für alle wird den Bedürfnissen von mehrfach diskriminierten, lesbischen Frauen mit tieferen Einkommen nicht Rechnung getragen. Aber auch sonst ist die Gleichstellung von queeren Menschen noch nicht so weit, wie es manchmal den Anschein macht. Transmenschen sind öfter arbeitslos, das Suizidrisiko von queeren Jugendlichen liegt dreimal so hoch wie jenes bei gleichaltrigen Heteros, und zahlreiche Queers erleben Gewalt im öffentlichen Raum.
Wir kämpfen für ein Ja zur Ehe für alle, aber vergessen wir nicht: Am nächsten Tag stehen weitere Kämpfe bevor, die geführt werden müssen.
Am stärksten betroffen von diesen Diskriminierungen sind jene queeren Menschen, die am weitesten von der heterosexuellen Norm, den gängigen Geschlechterstereotypen und den damit verbundenen Lebensentwürfen abweichen. Nicht alle Queers wollen das klassische Familienmodell mit Kind, Haus und klarer Rollenteilung leben. Genauso, wie sich nicht alle Heteros diesen bürgerlichen Normen beugen möchten. Der Kampf für Gleichstellung hört deshalb ganz sicher nicht mit der «Ehe für alle» auf, auch dann nicht, wenn lesbische Frauen endlich die gleichen Rechte erhalten.
Der Kampf für Queer-Rechte geht weiter: Es geht um Akzeptanz von verschiedensten Lebensentwürfen, für Feminismus, gegen Rassismus und gegen ökonomische Ungleichheiten. Gleichstellung gibts nur ganz oder gar nicht. Kämpfen wir deswegen für ein Ja zur Ehe für alle, aber vergessen wir nicht: Am nächsten Tag stehen weitere Kämpfe bevor, die geführt werden müssen.
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