Die drei Missverständnisse Freysingers
Vor vier Jahren ist er mit Glanz gewählt worden, jetzt wurde er aus dem Amt gejagt.

Sein Stern war schon länger am Sinken. Jetzt ist er erloschen. Oskar Freysinger (SVP) wurde am Sonntag aus der Walliser Regierung abgewählt. Vor vier Jahren war er noch der strahlende Sieger gewesen – mit dem besten Ergebnis aller Kandidaten.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das Wahlresultat ist hart, aber es ist typisch schweizerisch. Und es legt nahe, dass der in Sitten geborene Sohn eines Tirolers und einer Walliserin seine Heimat nicht ganz verstanden hat. Die Walliser lieben Widerständler, die sich gegen die Obrigkeit auflehnen. Dieses Gefühl trug Freysinger dreimal in den Nationalrat nach Bern und vor vier Jahren als ersten Vertreter der SVP in den Staatsrat, wie die Regierung im Wallis heisst.
Der Triumph von 2013 war der Anfang vom Ende, denn wenn der Widerständler im Establishment angekommen ist, genügt das Widerstehen auch im Wallis nicht mehr. Dann geht es darum, ob einer in seine neue Rolle hineinwächst und tatsächlich Staatsrat wird. Genau das hat Freysinger nicht gekonnt. Es hätte wohl auch seinem Naturell widersprochen.
«Enfant terrible» reicht nicht
Freysinger gab auch nach der Wahl das «Enfant terrible». Seine Reichkriegsflagge im Keller liess er hängen, statt sie gegen eine Walliser Fahne auszutauschen. Das liess viele Walliser an seiner Loyalität zur Heimat zweifeln. Geschadet hat ihm auch, dass er mehr mit Skandalen als besonderen Erfolgen im Bildungsdepartement Furore machte. Akzente setzte er kaum, ausser mit der Einstellung eines befreundeten serbischen Schriftstellers als Kommunikationsberater. Als Vortragsreisender tingelte er in eigener Sache durch Europa – auch zu fragwürdigen Veranstaltungen von ganz Rechtsaussen. Freysinger redete gerne von Patriotismus, aber er verstand die schweizerische, ganz besonders die walliserische Version davon, nicht. Dieser fehlt nämlich der missionarische Eifer, den Freysinger geradezu zelebrierte.
Auch im Wallis ist man der EU gegenüber kritisch eingestellt. Aber die Vorstellung, ausgerechnet ein Walliser müsse irgendwo (oder gar zu Hause) für eine «konservative Revolution» kämpfen, ist den Einheimischen fremd. Die Erinnerung an Kardinal Matthäus Schiner ist noch wach – er hat es vor 500 Jahren vom schattigen Weiler Mühlebach im Goms bis zum europäischen Strippenzieher am Vatikan geschafft – aber er ist mit seiner katholischen Machtpolitik ebenso gescheitert wie Freysinger mit seinen dubiosen Freunden. Die Lehre daraus im Rhonetal: Europa muss nicht am Wallis genesen. Man ist sich gut genug und will vor allem von den anderen in Ruhe gelassen werden, seien es Eurokraten im fernen Brüssel oder die «Üsserschwyzer» von ennet dem Lötschberg.
Die dritte Fehleinschätzung Freysingers ist religiöser Art. Die Frauengeschichten von Kontrahent Christophe Darbellay sind zwar unschön und haben ihn sicher Stimmen gekostet, aber der frühere CVP-Präsident hat den Fehler öffentlich eingeräumt und sich entschuldigt. Im katholischen Wallis ist die Sache nach der Beichte gegessen. Für viele Wähler war Freysinger – sowieso nicht als häufiger Kirchgänger bekannt – moralisch selbst nicht ohne Fehl und Tadel. Mit jeder seiner Attacken schlossen sich hinter Darbellay die Reihen etwas mehr. Die Wähler dankten dem langjährigen CVP-Nationalrat, dass er in Bern für das Wallis gekämpft hatte. Freysinger hatte auch gekämpft, aber mit weniger Erfolg.
Falsche Rolle, falscher Patriotismus und falscher Katholizismus: Das sind die drei Fehler des Oskar Freysinger – mindestens einer zu viel. Sie erinnern an die Missverständnisse eines Secondos, der sich besonders anpasserisch um Integration bemüht und dabei die Widersprüche in seiner neuen Heimat übersieht. Wer nun schadenfreudig hofft, Freysinger sei für immer erledigt, der könnte sich allerdings täuschen.
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