
Es ist die klassische Frage vor einer jeden Saison: Wer wird Weltmeister? Doch dieses Mal muss ich ganz ehrlich sagen: Ich weiss es nicht. Und genau darum freue ich mich riesig darauf, wenn es am Sonntag in Bahrain losgeht.
Natürlich, Lewis Hamilton ist als Weltmeister der letzten vier Jahre und mit insgesamt sieben Titeln der grosse Favorit, das ist doch ganz klar. Aber die Testfahrten haben gezeigt, dass der Mercedes noch ein paar Probleme mit dem Getriebe und der Balance hat. Die Änderungen am Unterboden haben dazu geführt, dass das Heck des Autos nicht mehr so stabil auf der Strecke liegt. Und das verträgt sich nicht mit Hamiltons Fahrstil. Prompt hat er sich ein, zwei Dreher geleistet.
Aber lassen Sie sich davon nicht blenden! Mercedes hat schon in den letzten Jahren bei den Testfahrten immer fleissig geblufft. Und auch dieses Mal ist man nie mit einem leeren Tank gefahren. Wenn man die Zeiten hochrechnet, dann sind sie auf Augenhöhe mit Red Bull. Und sie werden auch alle anderen kleinen Probleme schnell beheben, da bin ich mir sicher.
Die gute Nachricht für alle Fans ist aber die: Die grosse Überlegenheit scheint vorbei. In den letzten Jahren war es ja jeweils so, dass die Silberpfeile mit einem ordentlichen Vorsprung in die neue Saison gestartet sind. Wenn die Verfolger einigermassen aufgeholt hatten, war das WM-Rennen längst entschieden. Jetzt ist das Feld aber viel enger zusammengerückt.
Das liegt daran, dass alle Teams ihre Autos aus der Vorsaison mit in die neue genommen haben: Chassis, Getriebe – alles ist gleich geblieben. Es gibt nur einige Änderungen im Bereich Aerodynamik. Und mit dem Token-System haben einige Teams ihre Schwachstellen mit Erlaubnis der FIA ausbessern können. Das Ergebnis ist logisch: Alles rückt zusammen, die Spannung steigt. Aber auf vier Teams sollten die Fans ganz besonders achten, das ist für mich nach den Testfahrten klar.
Ich bin gespannt, wie es aussieht, wenn Mercedes nicht mehr auf den ersten beiden Startplätzen steht und sich die Taktik zurechtlegen kann.
Zum einen Red Bull. Die waren im Windkanal ja schon immer schnell in den letzten Jahren. Aber sobald es auf die Piste ging, kamen die Probleme. Letzte Saison hat es die Hälfte der Rennen gebraucht, bis sie konkurrenzfähig waren. Jetzt sieht es aber so aus, als wären sie von Anfang an bereit, um Druck auf Hamilton und Bottas zu machen. Und dann bin ich mal gespannt, wie es aussieht, wenn Mercedes nicht mehr auf den ersten beiden Startplätzen steht und sich die Taktik zurechtlegen kann. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie bei dieser Situation auch mal wieder Fehler machen.
Sehr beeindruckt hat mich auch McLaren, das ist für mich sogar die grösste Überraschung. Die haben im Vergleich zur letzten Saison keinen Renault-Motor mehr, sondern einen Mercedes-Motor, dazu andere Kühler. Da ist im Grunde alles neu, da kann theoretisch so viel schiefgehen. Aber sie haben ein Auto auf die Strecke gestellt, das sofort funktioniert und auch noch schnell ist. Ich traue ihnen zu, dass sie direkt hinter Mercedes und Red Bull landen.
Dann Alpha Tauri, mit dem jungen Japaner Yuki Tsunoda. Der ist erst 20 Jahre, sticht aber schon bei seinen ersten Runden heraus. Das ist ein ungestümer Fahrer. In der Formel 2 war er schon der Schnellste, und bei den Tests hatte er am Ende die zweitbeste Zeit hinter Max Verstappen. Er könnte in der neuen Saison für viel Spektakel sorgen.
Und dann freut es mich besonders, dass Alfa Romeo einen riesigen Sprung gemacht hat. Das vergangene Jahr war komplett zum Vergessen, da hat man gerade mal acht Punkte einfahren können. Es hat wehgetan, einen Fahrer wie Kimi Räikkönen in der letzten Reihe zu sehen. Aber ich bin überzeugt, dass sie in dieser Saison nicht mehr auf dem achten Rang landen, sondern mindestens eines der guten Teams hinter sich lassen und Siebter werden. In meinen Augen stehen sie aktuell direkt hinter Ferrari.
Nicht nur der Motor ist verbessert, sondern sie haben auch am Chassis etwas geändert: Mit den Änderungen an der Nase sind sie jetzt auch auf eine einzelne Runde schnell, was im letzten Jahr im Qualifying oft das Problem war. Jetzt können sie hoffentlich weiter vorne starten und in einem engen Feld mit der richtigen Taktik mehr Punkte holen.
Das wäre nicht nur für die Formel 1 wichtig, sondern besonders auch für die Schweiz. Auf dem Auto steht ja noch immer Sauber drauf, und es ist noch immer Sauber drin. Das ist unser Ferrari. Und für viele Schweizer ist es der Grund, warum sie am Sonntag den Fernseher einschalten. Nicht nur die rund 500 Mitarbeitenden aus dem Werk in Hinwil sowie ihre Freunde und Familien. Auch die Schweizer Formel-1-Fans, deren Herz für Sauber schlägt.
Es wird in jedem Fall eine spannende Saison mit einer Menge Potenzial. Die Rennen waren ja auch im letzten Jahr schon spannend, nur stand am Ende immer das gleiche Team vorne: Mercedes. Jetzt hat Red Bull mit Max Verstappen die Chance, die Dominanz der letzten Jahre zu durchbrechen. Und sollte am Ende wieder Hamilton oben stehen und seinen achten WM-Titel feiern, dann bin ich fast sicher, dass er auf dem absoluten Höhepunkt seine Karriere beenden wird.
Der Baselbieter Marc Surer (69) ist ehemaliger Formel-1-Pilot und verfolgt die Königsklasse des Motorsports heute intensiv als Experte. Er berichtet regelmässig für die BaZ.
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Formel 1: Wer stoppt Hamilton? – Die Dominanz von Mercedes wackelt
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