Die dickste Haut gewinnt
2020 ist Sportklettern in Tokio erstmals olympisch. Die Schweizerin Petra Klingler nimmt für das Olympia-Ticket auch blutige Finger in Kauf.

Die Kirschblütenzeit ist lange vorbei, tagsüber ist es schwül und heiss. Kein Wunder, gilt der August nicht als idealer Reisemonat für Japan.
Den fünf Schweizer Athleten kann das egal sein, sie sind ja nicht zum Sightseeing hier. Für die Zürcherin Petra Klingler ist Japan kein Neuland, zweimal war sie an Weltcup-Veranstaltungen hier, dazu an einem Einladungswettkampf. Dass Sportklettern 2020 gerade in Japan erstmals olympische Weihen erfährt, macht für die klare Schweizer Nummer 1 Sinn: «Die Begeisterung ist hier sehr gross. Allein in Tokio und Umgebung gibt es mehr als 200 Kletterhallen.» Bei den Männern stammen acht der Top Ten aus Japan. Nur zwei dürfen bei Olympia starten.
Möglichst schnell ans Ziel
Hachioji mit seinen 500'000 Einwohnern liegt westlich ausserhalb der Metropole, die Olympia-Konkurrenzen werden dann aber im Zentrum ausgetragen werden, beim Hafen. Mit den Umständen der Spiele beschäftigt sich Klingler dieser Tage noch nicht gross, weil vor der Kür die Pflicht kommt, sprich: «Zuerst muss ich mich qualifizieren. Mein Fokus liegt ganz auf der WM.»
Drei Qualifikationschancen hat sie insgesamt (siehe Box), nutzen will sie gleich die erste: «Dann kann ich etwas herunterfahren und regenerieren, sonst wird die Saison extrem viel länger.» Den siebten Platz benötigt sie in der Kombination, der neuen olympischen Disziplin am Dienstag, für die sich die 20 Gesamtbesten der drei klassischen Wettkämpfe qualifizieren.
Am 6. August sind die Schweizer angereist, es blieb genug Zeit für Akklimatisierung und Überwindung des Jetlags. Diese Vorbereitung war nötig, zwischen dem 11. und 21. August erzeugen zehn Wettkampftage Dauerstress.
Der Start im Bouldern, wo es darum geht, kurze Kletterprobleme mit möglichst wenig Fehlversuchen zu meistern, gelang der Weltmeisterin von 2016. Sie qualifizierte sich souverän für die Halbfinals, in die sie überraschend von Sofya Yokoyama und Anne-Sophie Koller begleitet wurde. Dort folgte die Ernüchterung: Klingler verpasste den Final knapp und wurde nur Zehnte. Koller und Yokoyama hingegen konnten mit den Rängen 15 und 17 zufrieden sein.
«Es ist niederschmetternd, dass mein Traum geplatzt ist», bilanzierte Klingler, «aber ich muss sofort wieder nach vorne schauen.» Schon am Mittwoch ging es mit der Lead-Qualifikation (Rang 29) weiter, am Freitag folgt das Speedklettern. Klinglers Rezept für die kommenden WM-Tage ist simpel: «Ich will Schritt für Schritt nehmen und Tag für Tag das Maximum herausholen.»
Rund um Tokio gibt es mehr als 200 Kletterhallen. Und in den Top Ten der Männer sind acht Japaner.
Die Ausgangslage ist nicht mehr vergleichbar mit 2016, seit letztem Jahr wird am Schluss noch die Kombination ausgetragen, aus den drei Disziplinen mit unterschiedlichen Anforderungen: Beim Bouldern geht es primär um Technik und Maximalkraft, im Leadklettern, dem klassischen Seilklettern, um Technik und Kraftausdauer und beim Speedklettern darum, die 15 Meter hohe Wand möglichst schnell hochzueilen. Es sei schon eine Umstellung, sagt Klingler: «Früher konnte ich mich aufs Bouldern konzentrieren, jetzt gibt es die gesamte Saison eine Dreifachbelastung.»
Der Spagat mit der Erholung
Die Kombination ist das «pièce de résistance». Am Dienstag wird die besten Karten haben, wer noch Kraftreserven hat. Und wessen Körper noch relativ unversehrt ist. «Letztes Jahr hatten alle blutige Finger», blickt sie zurück, «die Frage war nur: Wer konnte am meisten Haut sparen?»
Vieltrainierer waren die Sportkletterer schon immer, nun ist der Gesamtaufwand noch grösser. 30 bis 35 Stunden pro Woche, sagt Klingler, und weil sie 2018 ihr Studium in Sportwissenschaft und Psychologie in Bern abschliessen konnte, hat sie nun mehr Zeit für Regeneration. Diese sei ebenso zentral: «Man muss aufpassen, dass man nicht in ein Übertraining gerät.»
Vieltrainierer waren die Sportkletterer schon immer, nun ist der gesamte Aufwand noch grösser geworden.
Es ist ein Spagat: Einerseits ist da der Wille, immer noch etwas mehr aus dem Körper herauszukitzeln, andererseits darf man es nicht übertreiben. Klingler hört auf ihren Körper: «Ich versuche, auch einmal nicht zu klettern, oder ein Training früher zu beenden, damit es am nächsten Tag wieder geht.»
Trotz der Schmerzen ist das Klettern seit 14 Jahren ein zentraler Bestandteil ihres Lebens. Die 27-Jährige gerät ins Schwärmen, wenn sie vom sozialen Umgang spricht: «Es geht familiär zu. Ich zittere mit anderen Athleten mit und freue mich fast genauso für einen Japaner wie für einen Schweizer.»
In vielen anderen Sportarten wäre solches Denken zumindest auf hohem Niveau unmöglich. Für Klingler ist es aber logisch: «Es ist ein Vorteil, dass wir nicht direkt gegeneinander antreten. Es geht darum, eine Wand zu erkennen, ein Problem zu lösen. Und wenn du es nicht gefunden hast, ist es eben so. Der Beste ist bei uns der Beste.»
Wer schon einmal die Beste war, träumt davon, dies wieder zu werden. Aus ihren Ambitionen macht Petra Klingler denn auch keinen Hehl: «Ich trete immer mit dem Ziel an, zu gewinnen.» Also auch 2020 in Tokio.
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