Die Billionen-Euro-Erpressung
Über Griechenland schwebt das Damoklesschwert des Euro-Austritts. Wahlsieger Alexis Tsipras will das verhindern, ohne zu sparen oder Zinsen zu zahlen. Für diese tollkühne Politik hat er ein gewichtiges Argument.

Bleibt Griechenland in der Eurozone, wie es laut Umfragen vor rund einer Woche eine grosse Mehrheit von 78 Prozent der befragten Griechen wünschte – oder muss das Land die Gemeinschaftswährung abgeben und wieder zur Drachme zurückkehren? Die Frage hält derzeit Europa und die Welt in Atem.
Und dieser Atem wird immer kürzer. Hektik herrscht an den Börsen. Gerüchte über steigende Kapitalflucht aus Griechenland liessen gestern die Kurse purzeln (siehe Info-Box).
Tsipras macht Stimmung gegen Austerität
Das Bekenntnis der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zu einem Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone hatte den Markt gestern zunächst noch gestützt. Merkel hatte eine sanftere Haltung zur Schuldenkrise Griechenlands signalisiert. Sie sei bereit, über ein Wachstumsprogramm zu verhandeln – und wolle Griechenland auf jeden Fall in der Eurozone halten.
Der neue Gegenspieler der Kanzlerin, Alexis Tsipras, der Vorsitzende des linksradikalen griechischen Parteienbündnisses Syriza, hielt gestern nicht mit Kritik an Merkels Sparkurs zurück. Gegenüber der britischen BBC forderte er, die europäische Führung und «besonders Frau Merkel» müssten «aufhören, mit dem Leben der Menschen Poker zu spielen». Er warnte davor, mit der «Krankheit des Sparens» «Griechenland zu zerstören».
Auf CNN unterstrich Tsipras eindringlich seinen Appell für einen dringenden Kurswechsel weg von der Austerität: «Alle verstehen nun, dass uns diese Politik direkt in die Hölle führt.» Tsipras warnte vor den Auswirkungen auf Europa und die Welt, sollte die Eurozone auseinanderbrechen.
Alle gegen Deutschland
Die Befürworter des Austeritätskurses, allen voran die deutsche Regierung, sehen sich einer wachsenden ablehnenden Front gegenüber. In den USA fordert die Regierung schon seit längerem eine Abkehr vom harten Sparkurs, doch das Kräfteverhältnis kippte mit der Wahl des Sozialisten François Hollande zum Präsidenten Frankreichs. US-Präsident Barack Obama warnte gestern im Vorfeld des G8-Gipfels vor einer Verschärfung der Krise. Und in Frankreich bekräftigten der neu ernannte Finanz- und Wirtschaftsminister Pierre Moscovici und der neue Aussenminister Laurent Fabius, man werde den EU-Fiskalpakt ohne eine Wachstumskomponente nicht ratifizieren.
Auch London sieht Europa am Scheideweg, berichtet der «Guardian». Premierminister Cameron mahnte, Europa müsse nun eine Lösung finden oder gehe möglicherweise einer Aufspaltung entgegen. Der britische Notenbankchef Mervyn King meint gar, Europa reisse sich auseinander.
IWF-Chefin Christine Lagarde warnte, ein Austritt aus der Euro-Zone «wäre extrem teuer und hart, und das nicht nur für Griechenland». Sogar der Chef der Bankenlobby «Institute of International Finance», Charles Dallara, glaubt der Schaden für Europa bei einem Euro-Austritt Griechenlands werde «zwischen einer Katastrophe und Armageddon» sein. Syriza-Führer Alexis Tsipras hat offensichtlich bedeutende Stimmen, die zumindest indirekt seinen Machtpoker unterstützen.
Kosten von bis zu einer Billion Euro
Verlässt Griechenland den Euro ungeordnet, könne dies laut einer Schätzung die Eurozone bis zu eine Billion Euro (tausend Milliarden Euro) oder 5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung kosten, schreibt der «Guardian». Sollte ein Austritt noch dazu einen Dominoeffekt auslösen, könnte das Deutschland alleine bis zu eine Billion Euro kosten, meint der deutsche Wirtschaftsexperte Hans-Werner Sinn. «Der in Griechenland verlorene Betrag von etwa 80 Milliarden Euro ist klein im Vergleich zu der Summe, für die wir insgesamt haften», sagte Sinn der «Rheinischen Post» aus Düsseldorf.
Die Bundesrepublik verliere bei einem möglichen Staatskonkurs Italiens, Griechenlands, Spaniens und Portugals über 600 Milliarden Euro. Wenn der Euro insgesamt zerbrechen sollte, kämen noch einmal gut 300 Milliarden Euro für nicht einbringliche Notenbank-Forderungen hinzu. «Insgesamt könnte dann eine knappe Billion Euro weg sein», sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.
Sinn sprach sich erneut für den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone aus. Das Land werde innerhalb der Währungsgemeinschaft nie die Wettbewerbsfähigkeit erlangen, die es brauche, um aus seiner wirtschaftlichen Depression wieder heraus zu kommen, sagte er.
Regierung und Parlament vereidigt
In Athen sind heute das neue griechische Parlament und eine Interimsregierung vereidigt worden. Die 300 Abgeordneten und die Übergangsregierung werden ihr Mandat aber nur sehr kurz ausüben. Das Parlament soll an diesem Freitag ein Präsidium wählen und spätestens am Samstag aufgelöst werden.
Die Interimsregierung unter Ministerpräsident Panagiotis Pikrammenos soll das Land bis zu den Neuwahlen am 17. Juni führen. Die Griechen werden dann innerhalb von nur sechs Wochen zum zweiten Mal an die Wahlurnen gerufen. Alle Bemühungen, nach der Parlamentswahl vom 6. Mai eine tragfähige Regierungsmehrheit zu finden, waren gescheitert. Wegen der dramatischen Finanzlage haben die Parteien beschlossen, dass die Abgeordneten für die kurze Amtsdauer keine Entschädigungen bekommen.
(rub, mit Material von AFP und sda)
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