«Die Bilateralen wären sofort tot»
Der Bundespräsident Didier Burkhalter warnt eindringlich vor der Ecopop-Initiative. Ausserdem wird klar, wo es bei den Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen offenbar harzt.

Am 30. November stimmt die Schweiz über die Ecopop-Initiative ab. Diese verlangt, dass die Zuwanderung auf 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung beschränkt wird. Gleichzeitig sollen mindestens 10 Prozent der Entwicklungshilfegelder für freiwillige Familienplanung eingesetzt werden. Justizministerin Simonetta Sommaruga hatte den Ecopop-Initianten Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen.
Nun warnt auch Bundespräsident Didier Burkhalter eindringlich vor der Initiative. «Sie ist extrem», sagt er im Interview mit der Zeitung «Schweiz am Sonntag». «Kommt sie durch, hat die Schweiz überhaupt keinen Spielraum mehr. Es ist ein Verfassungstext, den wir umsetzen müssten. Die Bilateralen wären sofort tot, die Schweiz käme in eine sehr schwierige Lage. Wohlstand und Arbeitsplätze wären gefährdet.» Auf die Frage, ob die Regierung beschlossen habe, dass sich deswegen alle Bundesräte engagieren, betonte Burkhalter: «Dass sich alle engagieren, ist selbstverständlich. Alle Bundesräte und die Regierung als Mannschaft wissen, dass die Situation jetzt ganz ernst ist.»
Automatisches europäisches Recht vom Tisch
Bei den Verhandlungen mit der EU zu einem institutionellen Rahmenabkommen gibt sich Burkhalter zuversichtlich. Nach dem Treffen zwischen Staatssekretär Yves Rossier und EU-Chefdiplomat David O'Sullivan könne er eine «vorläufige Bilanz» ziehen. «Die Hälfte der offenen Fragen sind vollständig geklärt.»
Damit meint Burkhalter die Rechtsübernahme und die Überwachung. «Bei der Übernahme von europäischem Recht ist klar geworden, dass sie nicht automatisch erfolgen wird», sagt er. Gegenüber der «SonntagsZeitung» sagte Burkhalter, es solle ein «Decision shaping» gehen, also eine Lösung, nach der die Schweiz bei der Schaffung von neuen EU-Gesetzen, die unsere Abkommen betreffen, erstmals grundsätzlich ein Mitspracherecht hätte.
«Diskussion ist beendet»
Bei der Frage der Überwachung des Rechts sei die zuvor diskutierte neue, möglicherweise supranationale Behörde vom Tisch. Burkhalter zur «Schweiz am Sonntag»: «Diese Diskussion ist beendet. Jetzt gilt der Grundsatz, dass die EU wie die Schweiz jeweils nur auf ihrem eigenen Territorium überwachen.»
Noch offen ist die Rolle des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). «Es gibt für den EuGH eine Lösung innerhalb unserer roten Linien, die wir aber mit der neuen Mannschaft der EU bestätigen müssen», sagt Burkhalter. Es gehe darum, dass der EuGH zwar eine Interpretation zu einem Entscheid abgeben könne. «Aber diese Interpretation ist nicht die letzte Phase. Die Schweiz kann sagen, sie sei nicht einverstanden, diese EuGH-Interpretation zu implementieren.»
Schweiz zunehmend unter Druck?
Doch wie die «NZZ am Sonntag» schreibt, zeigt sich Brüssel im Streit um die Zuständigkeiten der EU-Richter kompromisslos. Bern hatte gefordert, dass der EuGH nur bei Streitfällen im Rahmen des gesamteuropäischen Rechts, des sogenannten «acquis», entscheiden soll. Die EU-Unterhändler beharren nach Informationen der Zeitung hingegen darauf, dass auch Sonderregelungen, die die EU bloss mit der Schweiz eingegangen ist, unter die Zuständigkeit des EuGH fallen sollen – die fremden Richter hätten gegenüber der Schweiz deutlich mehr Einfluss. Der Streit um die EU-Richter sei der entscheidende Knackpunkt in den laufenden Verhandlungen.
Bei Beobachtern ist gemäss der «NZZ am Sonntag» – entgegen der offiziellen Sprachregelung aus Bern und Brüssel – zuletzt der Eindruck entstanden, Brüssel setze die Schweiz zunehmend unter Druck: Brüssel fordere eine weitgehende Eingliederung in die Rechtsordnung der EU – sonst seien die bilateralen Verträge gefährdet. Dazu passe, dass die Berner Diplomaten dem Vernehmen nach bereits in mehreren Punkten Angebote unterbreitet hätten, in Erwartung eines entsprechenden Entgegenkommens der EU – das dann aber nicht erfolgt sei.
Der vierte Punkt in den Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU ist gemäss Bundespräsident Didier Burkhalter die Frage, was geschehe, wenn man einen Streit nicht beilegen könne. «Der EU ist nach dem 9. Februar klar geworden: Unter Umständen kann die Schweiz wegen der direkten Demokratie gewisse Abkommen nicht akzeptieren», sagt Burkhalter gegenüber der «Schweiz am Sonntag». «Die EU fragt sich nun, was passiert, wenn es wieder eine Situation gibt wie am 9. Februar. Deshalb will sie die Streitbeilegung nochmals diskutieren.»
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