Die Besserwisser wissen nichts
Eine Studie in den USA zeigt: Ausgerechnet jene, die sich selbst für besonders tolerant und weltoffen halten, haben am meisten Mühe mit politisch Andersdenkenden.

In einer Studie hat der «Atlantic», eine berühmte, linksliberale Zeitschrift, versucht, das Ausmass oder je nach Standpunkt: das Elend der politischen Polarisierung in den USA auszumessen. Dass dieses Land sich zusehends spaltet, das war bekannt, nun wollte man wissen, ob es immerhin Unterschiede geografischer Natur gab. Sind etwa die weltgewandten Städter von New York, die mit dem Fair-Trade zertifizierten Grande Latte zur Arbeit fahren, toleranter als die Hinterwäldler im Mittleren Westen, die schon vor dem Frühstück ihre Gewehre putzen? Oder anders gefragt: Bestand Hoffnung, dass es Gebiete gab, von denen man lernen konnte, wie man in der Politik streitet – ohne sich anzuöden?
Rund 2000 Amerikaner wurden befragt, unter anderem, wie sie sich etwa fühlten, wenn ein Mitglied ihrer Familie jemanden heiratete, der politisch einer anderen Meinung zuneigte, oder auch mit welchen Begriffen sie die beiden Parteien beschreiben würden. Wen hielten sie für «patriotisch» oder «mitfühlend», wen für «egoistisch», wer machte ihnen Angst: die Republikaner oder die Demokraten? Die Umfrage wurde von angesehenen Instituten vorgenommen, die Stichprobe ist gross genug, kurz, die Ergebnisse sind ernst zu nehmen – und sie sind bemerkenswert. Entgegen den Erwartungen wohl auch der Journalisten des «Atlantic» stellte sich heraus, dass ausgerechnet die besten Milieus zu Herden der Intoleranz herangewachsen sind. Wer die Universität besucht hat, gut verdient, in Städten oder lauschigen Villenvororten wohnt, wer älter ist und eine weisse Hautfarbe besitzt – der hat am meisten Mühe mit politisch Andersdenkenden. Selber hält er sich für liberal und wählt in der Regel die Demokraten.
Neun von zehn Ehepaaren in Boston, so zeigen andere Daten, wählen die gleiche Partei.
Auf der Karte, die im «Atlantic» zu studieren ist, wo alle 3000 Wahlkreise Amerikas dunkel oder hell aufleuchten – je nach Grad der festgestellten Toleranz –, gibt es keine Gegend, die dunkler bleibt, also intoleranter, als die reiche Stadt Boston und ihr Umland, eine von den Demokraten geprägte Region, wo die besten Colleges und Privatschulen des Landes liegen, und so viele Akademiker leben wie nirgendwo sonst. Ähnlich sieht es in Manhattan aus oder San Francisco, genauso Hochburgen der Demokraten, wo man am Sonntag offenbar die Toleranz mit allen Menschen dieser Welt predigt, am Werktag aber jeden Republikaner leidenschaftlich hasst. Gewiss, es gibt auch Wahlkreise, wo die Republikaner vorherrschen, und auch sie mögen die Demokraten nicht, allerdings gibt es weniger von diesen; vor allem klaffen nirgendwo Selbstbild und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei der liberalen, gut ausgebildeten Oberschicht Amerikas. Wenn wir uns derzeit in diesen Kreisen bewegen, so erleben wir immer wieder, wie diese liebenswürdigen Menschen den «Rassismus» der weissen Unterschicht im fernen Heartland, dem Kern der USA, beklagen, während man an der gleichen Cocktailparty, wo wir solche Bedenken hören, kaum einen Schwarzen erblickt. Selbstverständlich wären solche herzlich willkommen. Aber sie kommen nicht.
Jene Wahlkreise, die sich als viel toleranter erwiesen, sind auch heterogener zusammengesetzt: Hier wohnen Leute mit bescheidenem Einkommen.
Man geht sich aus dem Weg – und das mag die Polarisierung vertiefen. Neun von zehn Ehepaaren in Boston, so zeigen andere Daten, wählen die gleiche Partei. Acht von zehn Quartieren sind politisch homogen; entweder leben hier nur Demokraten oder nur Republikaner. Ein verhängnisvoller Befund, denn wer allein unter Seinesgleichen bleibt, sieht sich nie gezwungen, seine Ansichten und Vorurteile zu überdenken. Nie wird die Debatte hitzig, nie gefährlich, nie merkt man, wie schwach die eigenen Argumente sind, wenn jene, mit denen man streitet, die gleichen Argumente vorbringen. Was dagegen verstört mehr als der Widerspruch einer Person, die man schätzt? Woraus lernt man mehr?
Dass hier, in dieser faktischen Segregation der Intelligenten und der Reichen, eine Ursache der Misere zu orten ist, belegt die gleiche Umfrage. Denn jene Wahlkreise, die sich als viel toleranter erwiesen, sind auch heterogener zusammengesetzt: wie etwa Jefferson County, ein Wahlkreis im Norden des Staates New York an der Grenze zu Kanada. Hier wohnen Leute mit bescheidenem Einkommen, die meisten sahen nie ein College von innen, es gibt Demokraten und Republikaner, Weisse und Schwarze, wenn auch viel mehr Weisse: die Gegend ist Provinz, verwunschen und abgehängt. Weil die Menschen hier aber tagtäglich mit Unterschieden zu tun haben und jeder einen kennt, der eine andere Partei wählt, können sie auch damit umgehen. Gemäss «Atlantic» ist Jefferson County einer der tolerantesten Wahlkreise der USA. Trump gewann ihn mit über 20 Prozent Vorsprung.
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