Interview zum Ferienstart«Die Airlines machen wirklich einen sehr schlechten Job»
Der Ombudsmann der Schweizer Reisebranche findet klare Worte zur Annullierungswelle der Swiss und gibt Tipps, wie der Ferienbeginn nicht zum Albtraum verkommt.

Franco Muff, wie schlimm ist das aktuelle Ferienchaos in der Schweiz wirklich?
Reisen ist auf jeden Fall um einiges komplizierter als in anderen Jahren. Wir haben vier grosse Unsicherheitspunkte: die Airlines, die Flughäfen, den Krieg in der Ukraine und nach wie vor Corona. Ich muss aber ehrlich sagen, dass das ganze Thema von den Medien extrem aufgebauscht wird.
Das mag sein. Aber von den Airlines kurzfristig abgesagte Flüge gehören mittlerweile fast zur Tagesordnung.
Da machen die Fluggesellschaften wirklich einen sehr schlechten Job. Es kann nicht sein, dass im Frühling das Programm gross ausgebaut wird und man dann im Sommer die Kundinnen und Kunden vor den Kopf stösst. Und das alles im Wissen, dass überall weniger Personal zur Verfügung steht. Was zum Beispiel die Swiss mit ihren Annullationen abliefert, ist peinlich (Lesen Sie hier: «Kampfzone Check-in»).
Wie wirken sich die drei anderen Unsicherheitsfaktoren aus, die Sie genannt haben?
Auch die Flughäfen haben während der Corona-Pandemie Personal abgebaut. Und ja, es gibt nun mal attraktivere und besser bezahlte Jobs, als beispielsweise Koffer zu verladen. Die entlassenen Mitarbeitenden kommen also kaum zurück. Der Krieg in der Ukraine führt dazu, dass Ferienreisende gewisse Destinationen meiden. Und Corona ist nach wie vor präsent, ebenso wie die Sorge vor neuen Wellen und Varianten.
Da vergeht einem ja regelrecht die Reiselust.
Es ist mühsam und das Chaos massiv grösser als in anderen Jahren. Für einen Europaflug drei Stunden vorher am Flughafen zu sein, ist absolut unzumutbar. Zumal die Passagiere meistens selber einchecken. Man muss also nur noch die Möglichkeit haben, den Koffer abzugeben. Ich gehe am 31. Juli in die Ferien und bin gespannt, was mich erwartet.
Der Ombudsmann der Schweizer Reisebranche verreist trotz des Chaos?
Ja, die Ferien sind bereits seit langem gebucht. Es dürfte wohl den Erwartungen entsprechen, dass der Ombudsmann selbst auch auf Reisen geht. Von allzu kurzfristigen Buchungen würde ich zurzeit aber eher Abstand nehmen.
Wenn Sie zurück im Büro sind, werden sich die Fälle verärgerter Konsumentinnen und Konsumenten wahrscheinlich stapeln. Mit welcher Art Reklamationen haben Sie derzeit am meisten zu tun?
Erstaunlicherweise halten sich die Anfragen betreffend Flugchaos noch in Grenzen. Aber bei uns laufen die Dinge meist etwas verzögert. Derzeit beschäftigen uns noch immer ausbleibende Rückerstattungen von Airlines aus der Zeit der Corona-Pandemie. Wurde der Flug in der Schweiz oder direkt bei der Fluggesellschaft gebucht, helfen wir. Wenn es über eines der Online-Buchungsportale lief, nicht. Wer dort ein Ticket kauft, muss das Risiko selber tragen. Dann kommen auch immer wieder Buchungsfehler vonseiten des Kunden vor, zum Beispiel, weil der Name falsch eingegeben wurde. Bei solchen Fällen kann ich nur eines sagen: Für eigene Fehler sind die Konsequenzen zu tragen. Das sehen aber bei weitem nicht alle so.
«Die Leute haben einen unheimlichen Nachholbedarf. In Zukunft könnten aber die höheren Preise eine Hürde sein.»
Welche Tipps können Sie den Reisenden geben, um den Ferienchaos-Ärger zu minimieren?
Fakt ist: Die Buchung einer Pauschalreise in einem Reisebüro, das über eine Kundengeldabsicherung wie den Garantiefonds verfügt, bietet derzeit den besten Schutz. Muss die Reise vom Veranstalter storniert werden oder fallen Änderungen infolge von beispielsweise stornierten Flügen an, gelten die Bestimmungen des Schweizer Pauschalreisegesetzes, und der Veranstalter ist in der Pflicht zu helfen, meist auch Kosten zu tragen. Wer sich aber die Reise selber auf den Onlineportalen zusammenstellt, wird zu seinem eigenen Veranstalter und trägt somit auch das ganze Risiko. Und ganz wichtig: Wer in der heutigen Zeit reist, sollte sich unbedingt ein erhöhtes Mass an Gelassenheit antrainieren. Es macht keinen Sinn, sich während des Reisens über alles aufzuregen.
Wie sinnvoll sind Reiseversicherungen?
Eine Reiseversicherung kann sich je nach Fall lohnen. Es sollte aber eine mit Assistance sein, die Kosten übernimmt, wenn beispielsweise die Reise aufgrund von Krankheit oder Unfall abgebrochen werden muss. Wichtig ist auch, die Versicherungsbedingungen genau zu studieren, da sie sich von Anbieter zu Anbieter stark unterscheiden. Zudem hat man oft auch einen Selbstbehalt.
Wird sich die aktuelle Situation aus Konsumentensicht auf das zukünftige Reisen auswirken?
Ich gehe davon aus, dass sich alles einpendelt, sobald wieder genügend Personal bei den Flughäfen und den Airlines beschäftigt ist. Die Leute haben einen unheimlichen Nachholbedarf. In Zukunft könnten aber die höheren Preise eine Hürde sein.
Sie sind seit bald neun Jahren Ombudsmann der Schweizer Reisebranche. Welcher Fall ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Die Geschichte einer Familie, die einen Trip in die USA antreten wollte. Am Abreisetag kam aus, dass ein Pass abgelaufen war. Also entschieden Sie, alle nicht zu fliegen, was «no-show» bedeutete und die Tickets wertlos machte. Sie dachten, ihnen stände eine Rückerstattung der Airline zu oder der Veranstalter müsste ihnen die entstandenen Kosten erstatten, was hier klar nicht der Fall war. Die Familie hätte sich aufteilen können und ein Teil später nachreisen können. Das Ganze zog sich über Monate in die Länge.
Erleben Sie auch Positives?
Erst kürzlich hatte ich mit dem Fall einer Frau und ihrer Tochter zu tun. Beide reisten nach Afrika. Die Mutter hatte Übergepäck und das Prozedere rund um die Bezahlung dauerte so lange, dass sie den Zubringerflug zum Hub sowie den Anschlussflug verpassten. Also buchte die Airline sie auf den nächsten Tag um. Wieder am Flughafen, erfuhr die Frau, dass nur ihr Ticket neu ausgestellt wurde. Sie musste für die Tochter ein Neues kaufen und wollte dafür das Geld zurück. Die Fluggesellschaft stellte sich quer und wollte die Fehlleistungen des Personals am Flughafen in Abrede stellen. Vielleicht war da versteckter Rassismus im Spiel. Mit sehr viel Arbeit ist es uns schliesslich gelungen, die gesamten Mehrauslagen der Reisenden erstattet zu bekommen. Die Frau war unheimlich dankbar und hat unsere Arbeit sehr geschätzt. Insbesondere auch den Umstand, dass wir ihr Anliegen ernst genommen hatten.
Fehler gefunden?Jetzt melden.