Beim Boostern in Basel gescheitertDie Abgewiesene
Die Pandemiestrategie lässt wenig Spielraum für Eigeninitiative und vergrault je länger, je mehr auch Befürworter der Massnahmen.

Ich gebs hier zu. Ich bin linientreu. Sobald als möglich habe ich mich impfen lassen. Ich trage Maske, wo man muss, halte Abstände ein und versauere im Homeoffice. Mit meiner Familie liefere ich mir regelmässig Wettkämpfe darin, wer den Seifenboss am besten hinbekommt. Ich fülle Aus- und Einreiseformulare aus, wenn ich in die Ferien will, und nehme dafür sogar einen gebrochenen Fuss in Kauf. Und nicht einmal dann beklage ich mich, wenn kein Mensch diese Dokumente sehen will.
Mir kann es gar nicht schnell genug gehen mit Zweitimpfung, Booster und Zertifikatsverlängerung. Hauptsache, ich kann ein Leben führen, das so normal wie möglich ist. Frühzeitig hatte ich mich beim Impfzentrum für den Booster registriert – als ich einen Termin am 13. Januar 2022 erhielt, fühlte ich mich als Glückskind.
Doch meiner Euphorie droht nun ein jäher Abbruch. Schon fühle ich die Widerstände gegen das System in mir aufwallen. Und das nur, weil ich das (eigene) Impftempo durch Eigeninitiative erhöhen wollte. Denn inzwischen war Omikron auf dem Parkett erschienen, und Weihnachten kam immer näher. Gleichzeitig häuften sich Berichte von Impfdurchbrüchen und dem unglaublichen Ansteckungsgrad der neusten Variante.
Da kam mir der Gedanke, mich schon im Dezember in einer Apotheke impfen zu lassen – der Schutz für mich und meine Umgebung wäre bis zum Weihnachtsfest aufgefrischt. Ich hatte im Juni die zweite Impfung erhalten, also müsste unter Einhaltung der sechsmonatigen Wartefrist der dritte Piks auch schon im Dezember möglich sein, so meine Rechnung.
Online buchte ich einen Termin am 9. Dezember. Ich stand pünktlich vor der Apotheke und streckte der Dame am Eingang freudig mein Zertifikat entgegen. Und wurde abgewiesen. Ich hatte die zweite Impfung am 21. Juni erhalten, also müsse ich mich bis zum 21. Dezember gedulden, erst dann seien die sechs Monate vorbei. Da regte sich das Teufelchen in mir: Auf diese paar Tage kommt es doch nicht an, das ist Sabotage. Die Vernunft gewann dann doch die Oberhand, und etwas verstimmt zog ich von dannen. Ich beschloss, nicht in die allgemeine Omikron-Panik zu verfallen, und klammerte mich an meinen Januar-Termin im Impfzentrum.
Selbst Befürwortern haut es langsam, aber sicher den Nuggi raus.
Seit Montag, 20. Dezember, gelten nun aber neue Regeln. Unter anderem 2-G und für Discos und Bars, sowie für Sport- und Kulturaktivitäten, bei denen das Maskentragen nicht möglich ist, 2-G plus. Das bedeutet, wer ein Zertifikat hat, das älter als vier Monate ist, muss sich zusätzlich testen lassen. Gleichzeitig wird die Booster-Impfung schon vor Ablauf der Wartefrist von sechs Monaten empfohlen.
Am Montagmorgen hatte meine Stunde geschlagen: Jetzt würde ich meinen Booster doch rechtzeitig bekommen und könnte das lästige Testen verhindern, das jegliche spontane Hallenbad-Besuche oder Ähnliches verhindert. Nur rasch einen Termin in der Apotheke buchen, am besten noch am selben Tag. Denkste. Wo ich auch reinklickte – alle Termine bis im Januar ausgebucht. Dann also schnell zum Walk-in-Angebot.
Ich habe Glück, die Schlange ist kurz, und ich sehe einem ruhigen Jahresende ohne Corona-Stress entgegen. Aber nein. Ich werde abgewiesen. Meine Wartefrist von sechs Monaten endet erst einen Tag später, am 21. Dezember. Das Teufelchen in mir hat nun einen rot angelaufenen Kopf und den Ansatz von Hörnern. Ich weise das Personal auf die Änderung der empfohlenen Wartefrist für die Booster-Impfung hin. Eine weitere Angestellte erklärt mir, dass das vorgezogene Boostern nur für Personen über 65 Jahre empfohlen sei. Aber ich könne ja am nächsten Tag wieder kommen. Dann nämlich, wenn die zweite Impfung auf den Tag genau sechs Monate her ist.
Wie bestellt und nicht abgeholt stehe ich da. Was, wann, wo und bei welcher Personengruppe nun wirklich gilt – niemand weiss es mehr. Die Pandemiestrategie entwickelt sich je länger, je mehr zum Labyrinth mit unzähligen Sackgassen und Umwegen. Kritikern der Corona-Politik, die längst eine Staatsverschwörung vermuten, spielen solche Geschichten wie die geschilderte natürlich in die Hände.
Schlimmer als das ist aber, dass es selbst Befürwortern des eingeschlagenen Wegs und Menschen, die nicht in Panik verfallen wollen, langsam, aber sicher «den Nuggi raushaut». Mein Impfwille jedenfalls ist gebrochen. Bleibt mir noch das Wundenlecken. Ein Anruf bei der Corona-Infoline des Kantons Basel-Stadt bestätigt mir, dass sich seit Montag auch unter 65-Jährige vorgezogen boostern lassen dürfen.
Julia Konstantinidis ist seit 2020 Redaktorin im BaZ-Ressort Kultur&Gesellschaft.
Mehr InfosFehler gefunden?Jetzt melden.