Deutschland veröffentlicht Gemäldeliste
Nach der Entdeckung der spektakulären Gurlitt-Sammlung musste sich Deutschland den Vorwurf der Intransparenz gefallen lassen. Nun stellten die bayrischen Behörden eine Liste mit 25 Werken ins Internet.
Die Behörden haben sich dem öffentlichen Druck gebeugt: Eine erste Liste mit Werken aus der spektakulären Sammlung des Münchners Cornelius Gurlitt steht nun im Internet. Darunter sind Werke von Chagall, Spitzweg, Dix und Delacroix. Eine Arbeitsgruppe soll schnellstmöglich aufklären.
Die im Internet aufgeschaltete Liste enthält 25 verdächtige Werke. Gestern Abend wurden Bilder «mit entsprechenden dringenden Verdachtsmomenten auf NS-verfolgungsbedingten Entziehungshintergrund» in die Plattform Lostart.de der Koordinierungsstelle Magdeburg eingestellt.
Dies teilten das bayerische Justizministerium, das Kultusministerium sowie das Bundesfinanzministerium und der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien in einer gemeinsamen Erklärung mit.
Eine Arbeitsgruppe aus Sachverständigen soll nun schnellere Aufklärung bringen. «Zwischen Bund und Land wurde vereinbart, umgehend eine qualifizierte Taskforce von mindestens sechs Expertinnen und Experten für Provenienzrecherche zusammenzustellen», heisst es in der Mitteilung.
Experten müssen fast 1000 Werke überprüfen
Parallel zum Ermittlungsverfahren der Augsburger Staatsanwaltschaft sollen die Provenienz-Experten der Herkunft der rund 1400 gefundenen Bilder aus der entdeckten Sammlung des Kunsthändlersohnes Cornelius Gurlitt auf den Grund gehen. Die Leitung der Taskforce soll die frühere Ministerialdirektorin Ingeborg Berggreen-Merkel übernehmen.
Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Augsburg müssen rund 970 der etwa 1400 gefundenen Werke von Experten überprüft werden. 380 davon können dem zugeordnet werden, was die Nationalsozialisten «Entartete Kunst» nannten; bei 590 Werken muss laut Mitteilung überprüft werden, ob sie den rechtmässigen Eigentümern während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt genommen wurden.
Strafverfahren reicht nicht
Was passiert, wenn sich der Verdacht bestätigt, konnte ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums zunächst nicht sagen. Womöglich müssten dann einzelne Zivilprozesse zwischen Gurlitt und möglichen Vorbesitzern geführt werden.
«Die Herkunft der beim sogenannten ‹Schwabinger Kunstfund› sichergestellten Kunstwerke wird so rasch und transparent wie möglich festgestellt», heisst es in der Mitteilung. Denn: «Die mit dem ‹Schwabinger Kunstfund› aufgeworfenen Fragen zur Restitution im Zusammenhang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken können in einem Strafverfahren allein nicht hinreichend geklärt werden.»
Die Forderungen nach einem offenen Umgang mit den in München entdeckten Bildern des Kunsthändlersohns Cornelius Gurlitt wurden immer lauter. Der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle warnte vor einem Schaden für Deutschlands Ansehen.
Transparenz als «Gebot der Stunde»
«Wir sollten die Sensibilität des Themas in der Welt nicht unterschätzen», sagte Westerwelle am Rande eines Indien-Besuchs in Delhi der Deutschen Presse-Agentur DPA. «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Vertrauen verspielen, das in langen Jahrzehnten aufgebaut wurde. Das Gebot der Stunde ist jetzt Transparenz.»
In Gurlitts Münchener Wohnung waren rund 1400 vielfach verschollen geglaubte Werke gefunden worden. Eine öffentliche Auflistung könnte Klarheit darüber schaffen, ob einzelne Werke von den Nationalsozialisten geraubt oder verfolgten Juden zu Spottpreisen abgehandelt wurden. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hatte am Wochenende zugesagt, die Herkunftsrecherche zügig voranzubringen.
Bilder öffentlich machen
Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ronald S. Lauder, forderte die Bundesregierung auf, «die Bilder sichtbar zu machen». In der «Welt» verlangte Lauder, «die Polizei und die Politik müssen sofort eine Inventur machen und den gesamten Fundus ins Internet stellen. Jeder hat dann die Möglichkeit zu sehen, was vorhanden ist.»
Es sei wertvolle Zeit vergeudet worden. «Weder die möglichen Anspruchsberechtigten noch etwaige Zeugen im Rückgabeverfahren werden jünger», zitierte die Zeitung den WJC-Präsidenten.
Eine Expertin zuständig
Der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann verlangte, alle Werke auf der Website www.lostart.de ins Internet zu stellen. Zudem müsse die Herkunftsforschung professionalisiert werden. «Es geht doch nicht, dass damit eine einzelne Kunsthistorikerin beauftragt ist, die als Expertin für ‹Entartete Kunst› gilt», sagte er im «Art»-Magazin. Die Staatsanwaltschaft Augsburg sei ganz offenkundig überfordert.
«Sie können davon ausgehen, dass wir flexibel auf die aktuellen Umstände reagieren und das Erforderliche im Hinblick auf die Interessen der Geschädigten und den Fortgang der Ermittlungen in die Wege leiten», betonte dagegen ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. «Nach den derzeitigen Gegebenheiten schöpfen wir alle Möglichkeiten aus.»
«Grösstmögliche Transparenz» muss geschaffen werden
Auch der deutsche Vertreter der Jewish Claims Conference, Rüdiger Mahlo, forderte eine sofortige Offenlegung. «Angesichts der vielen Fragezeichen kann das Gebot der Stunde nur lauten: Umgehend grösstmögliche Transparenz schaffen», sagte Mahlo dem Magazin. So könnten mögliche Anspruchsberechtigte auch einen aktiven Beitrag zur Klärung der Herkunft von Bildern leisten.
Die Augsburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Gurlitt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und Unterschlagung. Im Februar 2012 hatte sie in seiner Wohnung in München-Schwabing die Bilder beschlagnahmt, was erst vergangene Woche bekannt wurde.
SDA/mrs/chk
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch