Wohnen wird unbezahlbarDer US-Immobilienmarkt läuft wieder heiss
Rasant steigende Hypozinsen und hohe Hauspreise sprengen die Budgets von immer mehr Kaufwilligen. Schritte gegen die Inflation verschlimmern ihre Lage.

Der amerikanische Traum dreht sich um mehr als Tellerwäscher und Millionärinnen. Für die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner besteht er im Erwerb eines Eigenheims, dessen Wertsteigerung die Stellung einer Familie in der Mittelklasse für Generationen sichern soll. Nur: Den Traum der Vermögensbildung können sich dieser Tage viele nicht mehr erfüllen. Weil Hypothekarzinsen und Immobilienpreise gleichzeitig in die Höhe schiessen, müssen Kaufwillige in den USA tiefer denn je in die Tasche greifen.
Viele Normalverdienende können den Erwerb von Wohneigentum vorläufig vergessen. Die Preise für Immobilien und die Zinsen von Hypotheken sind zeitgleich so stark gestiegen wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die Lage in der USA ähnelt damit jener der Schweiz, doch sind die Probleme am US-Immobilienmarkt ungleich schwerwiegender – und wecken zum Teil böse Erinnerungen an die letzte Immobilienkrise, die 2007 in der Weltfinanzkrise mündete.
Preise und Zinsen steigen gleichzeitig
Nach einem am Dienstag veröffentlichten Bericht des Nationalen Maklerverbands erreichte der Medianwert der Verkaufspreise von bestehenden Einfamilienhäusern im ersten Quartal 368’200 Dollar – das sind 15,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Durchschnittszins für die beliebte 30-Jahres-Hypothek, der Ende 2021 noch 3,1 Prozent betrug, schnellte derweil auf aktuell 5,1 Prozent. Eine Hypothek für zehn Jahre kostet derzeit rund 4,8 Prozent, das ist doppelt so viel wie in der Schweiz.
Wer jetzt ein Haus kaufen will, muss also nicht nur mit einem viel höheren Verkaufspreis rechnen, sondern dafür erst noch mehr Schuldzinsen bezahlen. Das Ergebnis: Die monatliche Hypothekarzinslast für Hauskäufer war laut dem Immobilienvermittler Redfin Ende April 39 Prozent höher als ein Jahr zuvor.
Die Erschwinglichkeit von Einfamilienhäusern nimmt entsprechend ab. Mitte April mussten Käufer 32,5 Prozent ihres Medianeinkommens für Hypozinsen aufbringen. Das Verhältnis ist fast so extrem wie im bisherigen Rekordjahr 2006, als bei Hypothekarzinsen von rund 6,75 Prozent Käufer von Häusern dafür jeden Monat 34 Prozent ihres Einkommens hinblättern mussten.
Covid befeuert die Immobilienpreise
Falls in den kommenden Monaten die Zinsrate um 0,5 Punkte steigt und die Hauspreise 5 Prozent höher werden, wäre die Erschwinglichkeit laut Black Knight, einem Anbieter von Hypothekardaten, so schlecht wie noch überhaupt nie.
Normalerweise müssten hohe Hypozinsen die Preise von Immobilien drücken. Diesmal scheint dieser Mechanismus nicht zu wirken. Die Zahl der Verkäufe lässt zwar seit den letzten Wochen leicht nach, doch die meisten Immobilienfachleute erwarten, dass die Preise von Einfamilienhäusern landesweit bis Ende Jahr weiter steigen werden.
Die Ursachen für die Sondersituation im Vergleich zu früheren Boomzeiten haben mit Covid-19 zu tun. Die Pandemie verleitet viele Menschen zur Flucht aus der Stadt, was die Nachfrage nach Liegenschaften in entfernten Vororten hochtreibt. Menschen arbeiten häufiger von zu Hause aus und benötigen mehr Wohnfläche.
Gleichzeitig erschwert es Covid, die höhere Nachfrage zu befriedigen: Der Bauwirtschaft fehlen Arbeitskräfte, und Engpässe in den Lieferketten für Baumaterialien und Haushaltsmaschinen verzögern die Fertigstellung neuen Wohnraums.
Zu wenig Wohnraum für die Millennials
Die Lage verschärfen zwei weitere Grundtatsachen: Die zahlenmässig starke Generation der um die Jahrtausendwende geborenen Millennials tritt ins Alter der Familiengründung ein, und seit der Finanzkrise von 2008 wurden in den USA viel zu wenige neue Häuser gebaut.
Zu welch extremen Verhältnissen das führen kann, illustrierte Bloomberg am Beispiel des besonders stark betroffenen Gliedstaats Kalifornien. So wurde im April in Berkeley ein 232 Quadratmeter grosses Haus aus dem Jahr 1953 für 1,795 Millionen Dollar ausgeschrieben. Es erhielt 28 Angebote und ging schliesslich für 4 Millionen Dollar an einen Bargeldkäufer. In Hollywood will die Popsängerin Madonna ein Anwesen veräussern, das sie letztes Jahr dem Sänger The Weeknd für 19,3 Millionen abkaufte. Das «Material Girl» verlangt dafür jetzt 26 Millionen, 35 Prozent mehr.
Umgekehrt haben Kaufwillige wie der Buchhalter Armando Villanueva und seine Frau jetzt keine Chance mehr. Monatelang suchten sie in Whittier östlich von Los Angeles ein grösseres Haus für ihre künftigen Kinder. Wie die «New York Times» berichtet, streckten sie Ende letzten Jahres ihr Budget immer weiter und boten schliesslich 800’000 Dollar für ein Haus mit annonciertem Kaufpreis von 750’000 Dollar. Jemand anderer bot fast eine Million Dollar und erhielt den Zuschlag. «Wir sahen ein, dass wir abwarten und mehr Bargeld ansparen müssen», sagt Villanueva.
Fed treibt Hypozinsen weiter an
Zumindest mittelfristig sind die Perspektiven aber nicht günstig. Es steigen nämlich nicht nur die Häuserpreise. Je mehr Leute vom Hauskauf Abstand nehmen müssen, desto stärker wächst die Nachfrage nach Mietwohnraum. Entsprechend ziehen jetzt auch die Mietzinse an. Und höhere Mietzinse drehen an der Inflationsschraube.
Um die galoppierende Geldentwertung einzudämmen, erhöhte die Federal Reserve am Mittwoch ihren Leitzins massiv um 0,5 Prozentpunkte. Wolle sie die Inflation bekämpfen, müsse die Zentralbank die Zinsen hochfahren, schreibt der Nobelpreis-Ökonom und «Times»-Kolumnist Paul Krugman. Dies werde jedoch die Hypothekenzinsen weiter in die Höhe treiben und Hauskäufe zusätzlich erschweren, klagt Krugman. «Das Fed löst ein drängendes Problem, indem es ein anderes, weniger drängendes, aber reales Problem verschlimmert.»
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