Der Traum vom besseren Leben hat sich nur für einen erfüllt
Die ganze Welt schaute zu, als vor einem Jahr 33 chilenische Kumpel aus ihrer eingestürzten Mine gerettet wurden. Die vergessenen Helden von San José haben ihr Schicksal unterschiedlich gut bewältigt.
Vor einem Jahr waren sie noch weltweit gefeierte Helden, die Überlebenden eines der dramatischsten Minenunglücke der Geschichte – oder zumindest der Mediengeschichte. Rund um die Uhr verfolgten Fernsehkameras und Reporter aus aller Welt die Rettung der 33 Kumpel aus der Kupfer- und Goldmine San José, die am 5. August vor einem Jahr teilweise einstürzte. Nach knapp drei Wochen erreichte eine erste Rettungsbohrung die Höhle, in der sich «Los 33», wie die Mineure bald genannt wurden, notdürftig eingerichtet hatten.
Bis zu ihrer Rettung mussten sie jedoch ganze 69 Tage ausharren. Sie wurden von oben mit Nahrungsmitteln versorgt, und selbstverständlich wurde auch schon bald die erste Kamera hinuntergelassen, über die die Verschütteten mit ihren Familien Kontakt aufnehmen konnten – und von der Öffentlichkeit mit Anteilnahme beobachtet wurden. Als der Letzte der 33 wieder am Tageslicht war, feierte die Welt mit. Sie reisten um die Welt, um in Talkshows von ihrer Agonie zu berichten. Jeder erhielt von einem exzentrischen chilenischen Millionär eine Abfindung von umgerechnet 10'000 Dollar.
Die Hälfte ist arbeitslos
Heute, ein Jahr nach dem Unglück, interessiert sich kaum mehr jemand für die Helden von damals. Zwar gedenkt Chile dieser Tage der dramatischen Monate, und der Präsident wird ein Museum an der mittlerweile geschlossenen Mine einweihen. Doch fast die Hälfte der Verschütteten hat laut der Presseagentur AP seit dem Unglück keine Anstellung mehr gefunden.
Die Männer wünschen sich viel mehr, dass Präsident Sebastian Pinera seine Ankündigung wahr macht und ihnen eine lebenslange Rente in Höhe von 430 Dollar monatlich bewilligen würde. Dieses Versprechen ist inzwischen in der Regierungsbürokratie versickert.
Regierung will keinen Präzedenzfall
Die Gruppe der 33 haben die Minengesellschaft auf 10 Millionen Dollar wegen mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen und die chilenische Regierung wegen schlampiger Aufsicht über die Mine auf 17 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt. Wann und ob überhaupt jemals Geld fliessen wird, ist unsicher. Die Minengesellschaft ist pleitegegangen, und die Regierung weigert sich, irgendeine Schuld einzugestehen. Sie will keinen Präzedenzfall schaffen und womöglich für fehlerhafte Aufsicht in anderen schlampig arbeitenden Unternehmen geradestehen müssen. Vier der Kumpel sind mittlerweile unter Tage zurückgekehrt. Nur einer hat es geschafft, seine paar Wochen Ruhm in bare Münze zu verwandeln.
Zwar halten sich in Chile und anderen Ländern Lateinamerikas hartnäckig Gerüchte, wonach «Los 33» durch ihre Interviews alle zu Millionären geworden seien. Doch mehr als All-inclusive-Reisen und Hotelübernachtungen schauten für die Auftritte in internationalen Medien nicht heraus. Auch von den Büchern, die über sie geschrieben wurden, haben sie nichts. Immerhin wurden die Rechte für die Verfilmung ihrer Geschichte letzten Monat nach Hollywood verkauft, und zwar an den Regisseur des Oscar-Films «Black Swan». Doch das Geld dafür muss seinen Weg noch finden in die raue Bergbau-Stadt Copiapo, wo die meisten der Kumpel noch immer leben.
«Dann hat ihn der Teufel genommen»
Mittlerweile ist auch das eingetreten, wovor Psychologen nach der Rettung der 33 warnten: Der Ruhm hat sich nicht unbedingt als Segen erwiesen. Bezeichnend ist die Geschichte jenes Mineurs, der den Spitznamen «der Jogger» bekam, weil er in der eingestürzten Mine jeden Tag mehrere Kilometer rannte – um fit zu bleiben. Nachdem er als Held an die Erdoberfläche zurückgekehrt war, lief er Marathonrennen in Tokio und New York und trat bei David Letterman als Elvis-Imitator auf.
Doch die plötzliche Berühmtheit ging einher mit exzessivem Alkoholkonsum und Familienstreitereien. Wie die «Vancouver Sun» berichtet, soll seine Frau gesagt haben: «Wenn in der Mine unten sowohl Gott als auch der Teufel waren, dann hat ihn der Teufel genommen.»
Stimmungskanone mit vollem Terminkalender
Bei drei weiteren Mineuren wurde eine unheilbare Lungenkrankheit diagnostiziert, die von der Zeit in der Mine herrührt. Insgesamt wollen sich 14 der 33 aus gesundheitlichen Gründen pensionieren lassen. Andere haben den Wiedereinstieg besser gemeistert: Zwei der Kumpel betreiben heute Gemüsestände auf dem Hauptplatz von Copiapo. Sie haben die Abfindung der Regierung investiert, um ihre Geschäfte aufzubauen. Ein anderer ist Motivationsredner geworden und hat sogar eine Messe für Barack Obama im Weissen Haus abgehalten.
Wirklich geschafft hat es aber nur einer: Der vor Energie und Optimismus berstende Mario Sepulveda, den die Welt nach seiner Rettung als Stimmungskanone erlebte. Sepulveda hat eine Unternehmensberatung gegründet, lässt einen amerikanischen Public-Relations-Agenten für sich arbeiten und lehrt Manager, wie man in schwierigen Situationen durchhält. Sein Terminkalender ist vor allem mit Dienstreisen in die USA ausgefüllt.
Ein kleiner Trost für alle könnte folgende Nachricht sein: Ein Museum in Washington widmet den 33 vergessenen Helden eine ganze Ausstellung.
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