Der staatliche Würgegriff bremst Chinas Wirtschaft
Der Handelsstreit mit den USA hat die Stimmung im fernöstlichen Riesenreich deutlich getrübt. Die Ursachen für das nachlassende Wachstum liegen aber tiefer.

Anzeichen für einen verlangsamten Pulsschlag der chinesischen Wirtschaft gab es bereits seit längerem. Einen weiteren Hinweis lieferten kürzlich die erneut enttäuschenden Wachstumszahlen Deutschlands, für dessen Industriesektor das Reich der Mitte von immenser Bedeutung ist. Mit gemischten Gefühlen werden denn auch Schweizer Exporteure die heute veröffentlichten Zahlen des chinesischen Statistikamts aufgenommen haben: Im vierten Quartal 2018 hat Chinas Bruttoinlandprodukt (BIP) noch um 6,4 Prozent zugelegt – der schwächste Zuwachs seit der Finanzkrise vor zehn Jahren.
Im gesamten letzten Jahr ergibt sich damit für die weltweit zweitgrösste Volkswirtschaft eine Wachstumsrate von 6,6 Prozent. Letztmals wies China 1990 eine derart geringe Zunahme der Wirtschaftsleistung aus. 2017 konnte das reale BIP um 6,8 Prozent gesteigert werden. Im laufenden Jahr rechnen die Weltbank und andere Beobachter mit einer erneuten Wachstumsabkühlung auf unter 6,5 Prozent.
Pekings erlahmter Reformwille
Wie stark diese letztlich ausfallen wird, hängt davon ab, ob China und die USA bis zum 1. März eine tragfähige Lösung im Handelsstreit finden können und die drohende Kaskade gegenseitiger Strafzölle unterbleibt. Die Experten sind sich darin einig, dass der Konflikt zwischen Washington und Peking auf jeden Fall indirekt die chinesische Konjunktur abgebremst hat. Sie verweisen auf die spürbar verschlechterte Stimmung bei Konsumenten und Unternehmern in Fernost und die damit einhergegangene Zurückhaltung bei Anschaffungen und Investitionen.
Prägender aber war der Einfluss des Handelsstreits womöglich in anderer Hinsicht: Er habe die tiefer liegenden Schwächen der chinesischen Wirtschaft offengelegt, behaupten China-Kenner. Aus ihrer Sicht ist das nachlassende Wachstum eine Folge des erlahmenden Reformwillens der Pekinger Führung. Entgegen seinen eigenen Ankündigungen von 2013, als Staatspräsident Xi Jinping einen neuen Effort zur Öffnung und Modernisierung der Wirtschaft in Aussicht stellte, hat er die Uhr seither gar zurückgedreht.
Das bekommen einerseits ausländische Konzerne zu spüren wie zuletzt die Kreditkartenanbieter Visa und Mastercard: Ihnen wird der Eintritt in den chinesischen Markt zunehmend erschwert. Anderseits ist parallel zur politischen Machtkonzentration in Xis Händen eine verstärkte Förderung und Forcierung des öffentlich kontrollierten Wirtschaftssektors festzustellen. Anstatt die ineffizienten, hoch verschuldeten und defizitären Staatsbetriebe zu zerschlagen, werden sie zu Wachstum und Zusammenschlüssen ermuntert, auf dass sie mit geballter Kraft in Auslandsmärkte vorstossen.
Staatswirtschaft hat wieder Priorität
Besonders deutlich wird die Hinwendung zu den staatlich kontrollierten Unternehmen unter Xi Jinping bei der Kreditzuteilung. Im Jahr 2016 strömten über 80 Prozent der vom chinesischen Bankensektor neu gesprochenen Kredite in die Staatswirtschaft – gerade mal 11 Prozent gelangten in Privatunternehmen. Dies, obwohl laut Zahlen des chinesischen Finanzministeriums über 40 Prozent der Staatsbetriebe chronisch Verluste schreiben und die Produktivität der privaten Industriefirmen fast dreimal höher ist als jene der staatlichen. 2012, im Jahr vor dem Führungswechsel in Peking, gingen noch 52 Prozent der Neukredite an private und 32 Prozent an öffentliche Firmen. Diese Daten hat das Peterson Institute for International Economics, eine US-Denkfabrik, aus offiziellen Bankenstatistiken zusammengetragen.
Für die von oben verordnete Renaissance des «Staatskapitalismus» zahlt China einen hohen Preis – in Form einer riesigen Verschwendung von Ressourcen, einer überbordenden Verschuldung und eines drastisch schwindenden Produktivitätsfortschritts. Gemäss Berechnungen der US-Investmentbank Morgan Stanley muss das Riesenreich heute 3 Dollar an Schulden aufnehmen, um seinen Ausstoss um 1 Dollar zu vergrössern. Auf der Gesamtwirtschaft, ohne den Bankensektor, lastet ein Schuldenberg von schätzungsweise 300 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Kein Aufbruch erkennbar
Der bisherigen Praxis, die Wirtschaft bei jedem Anzeichen einer Eintrübung mit immer neuen Kreditspritzen zu stimulieren, sind dadurch enge Grenzen gesetzt. Auch ergibt es wenig Sinn, den Wohnungsbau noch weiter anzukurbeln, wenn jetzt schon jede fünfte Wohnung im Land – über 60 Millionen an der Zahl – leer steht. Aus dieser selbst verschuldeten Schieflage, so geben Beobachter zu bedenken, kann sich China auf Dauer nur befreien, wenn es von Xi Jinpings rückwärts gewandter Kommandowirtschaft wieder Abstand nimmt und dem Privatsektor mehr (finanziellen) Manövrierraum gibt.
Das über China hängende Damoklesschwert eines Wirtschaftskonflikts mit den USA müsste eigentlich Grund genug sein, um die Pekinger Führung aufzurütteln. Doch statt der Wirtschaft neue Impulse zu verleihen, indem das schlummernde Potenzial im privaten Unternehmertum freigesetzt wird, suchen die Funktionäre ihr Heil in rigidem Zentralismus. Keine ermutigenden Aussichten für Exporteure nach China.
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