
Tod: Grüezi, grüezi.
Grenzbeamter: Guten Tag, grüezi, Sie möchten in die Schweiz?
Tod: In die schöne Schweiz, richtig.
Grenzbeamter: Pass bitte.
Tod: Ich habe einen internationalen Durchfahrschein.
Grenzbeamter: Aha, und Zertifikat? Geimpft, genesen oder getestet?
Tod: Gestorben.
Grenzbeamter: Ah… Sie wissen aber, dass wir für etliche Staaten als Hochrisikogebiet gelten?
Tod: Genau deswegen bin ich hier.
Grenzbeamter: Sie reisen aus beruflichen Gründen ein?
Tod: Richtig, ich komme seit zwei Jahren öfter als früher und sehr gern hierher.
Grenzbeamter: Schön.
Tod: Die Schweiz ist einfach ein Paradies.
Grenzbeamter: Ja?
Tod: Allein schon die Sterbehilfe gibt mir viel zu tun.
Grenzbeamter: Aha?
Tod: Ja, dieses «humane» Sterben. Aber auch das inhumane Sterben machen die Schweizer sehr gut.
Grenzbeamter: Ach ja?
Tod: Ja, der Schweizer Öffentlichkeit sind Tote ziemlich egal. So was erlebe ich selten. Normalerweise werden Tote betrauert, es gibt wochenlange Rituale, Umzüge, lauter Bräuche, damit ein Toter über seinen Tod hinaus gegenwärtig bleibt. Aber in der Schweiz wird der Sterbende versteckt, und kaum ist er tot, wird geschwiegen. Danke, merci, adieu, wie man hier so schön sagt, schon sind die Toten vergessen.
Grenzbeamter: Finden Sie?
Tod: Aber sicher. Keine Memorial Days, weitgehend ignorierte Gedenktage wie Allerheiligen, keine seitenlangen Auflistungen und Ehrungen der Corona-Toten, keine #SayTheirNames, nichts. Sehr angenehm für mich.
Grenzbeamter: Ach ja?
Tod: Ich renne hier offene Türen ein. Als ich gehört habe, der Bundesrat habe nicht einmal die Homeoffice-Pflicht und eine Testpflicht für Schulen durchgesetzt, und das bei der Dichte an Ungeimpften, dachte ich, jetzt muss ich sofort herkommen. Ich meine, in allen Nachbarländern wird problemlos an den Schulen getestet, und die Schweizer sagen, es sei logistisch nicht machbar, haha! Das ist doch klar, dass die mich hier haben wollen.
Grenzbeamter: Ich weiss nicht…
Tod: Aber ich weiss es, glauben Sie mir. Genauso egal, wie es dem Schweizer Staat egal ist, wer durch seine hochpräzisen Kriegsmaterialien stirbt, so egal, wie es ihnen ist, wer im Mittelmeer ertrinkt, so egal sind ihnen auch die Corona-Toten.
Grenzbeamter: Ich weiss nicht…
Tod: Aber ich weiss es, glauben Sie mir. Woran liegt das bloss, dass die Toten vielen Schweizern so egal sind?
Grenzbeamter: …
Tod: Ich habe eine These.
Grenzbeamter: Ja?
Tod: Geld. Wussten Sie, dass die Schweizer Rüstungsindustrie letztes Jahr ihr Allzeithoch hatte?
Grenzbeamter: Nein, wusste ich nicht.
Tod: Aber ich weiss es, glauben Sie mir. Tja, und bei Corona ist es nicht unähnlich. Die steigende Sterbekurve ist völlig egal, solange die Wirtschaftskurve steigt. Über die Toten spricht man nicht. Die Schweizer haben ja sowieso eine lange Tradition in Sachen Diskretion.
Grenzbeamter: Wem sagen Sie das.
Tod: Ich kann das Desinteresse für die Toten sehr gut begreifen, ich habe mich auch nie für die Lebenden interessiert.
Grenzbeamter: Jetzt weiss ich gar nicht, ob ich Sie noch einreisen lassen soll…
Tod: Nein, nein, ich will Sie nicht erschrecken. Machen Sie schön weiter so. Vielen Dank für den netten Empfang. Mmmm... Es duftet immer so schön in der Schweiz, die Kälte, der Winter, frohe Weihnachten! Feiern Sie im grossen Kreis?
Grenzbeamter: Ja, die ganze Familie.
Tod: Wie schön, frohe Weihnachten.
Grenzbeamter: Ihnen auch, einen frohen Aufenthalt bei uns, schöne Festtage.
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Kolumne von Laura de Weck – Der Schweiz sind die Toten egal
Der Tod will in die Schweiz. Sie ist für ihn ein Paradies.