Der schmutzigste Wahlkampf Österreichs
Fake-Facebook-Seiten, Spionagevorwürfe, Intrigen und Parteien, die sich verklagen: Vor der Parlamentswahl am Sonntag hat die österreichische Politik einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Die Tageszeitung «Der Standard» kommentierte mit Klartext: «Mitten in der Schlammschlacht.» Oder auch «Das ist ein Dreckswahlkampf.» In Österreich geht ein Wahlkampf zu Ende, der als der schmutzigste in der Geschichte des Landes gilt. Dass am Sonntag das neue Parlament, der Nationalrat, gewählt wird, ist fast zur Nebensächlichkeit geraten.
Politiker und Parteien sorgten laufend für negative Schlagzeilen. Der österreichische Wahlkampf war viel mehr ein Intrigantenstadl als eine Auseinandersetzung um politische Programme. Der Versuch eines Überblicks:
Fake-Facebook-Seiten gegen Sebastian Kurz
Die Facebook-Seite «Die Wahrheit über Sebastian Kurz» und die angebliche Fanseite «Wir für Sebastian Kurz» waren Teil einer Schmutzkampagne aus den Reihen der SPÖ gegen den Kanzlerkandidaten und Noch-Aussenminister der ÖVP. Die beiden Facebook-Seiten verbreiteten diffamierende, rassistische und antisemitische Inhalte. Als Ideenlieferant der ÖVP-Kampagne gilt der israelische Politberater Tal Silberstein, ein international gefragter Spezialist für «Dirty Campaigning». Nach Medienberichten von Anfang Oktober verschwanden die beiden Fake-Facebook-Seiten aus dem Internet. Der Wahlkampfleiter der Sozialdemokraten, Georg Niedermühlbichler, räumte ein, dass einer seiner Mitarbeiter in die Schmutzkampagne involviert gewesen sei. Er selber habe nichts davon gewusst, beteuerte Niedermühlbichler – und trat zurück. In der ohnehin fintenreichen Politik Österreichs ist es ein neuer Tiefpunkt, dass eine Hetzkampagne von links kommt, aber so tut, als käme sie von rechts. Christian Kern, Noch-Kanzler und Spitzenkandidat der SPÖ, will von der Sache nichts gewusst haben. «Was passiert ist, ist inakzeptabel, aber nicht in unserem Auftrag», sagte Kern.

Festnahme von SPÖ-Berater Tal Silberstein
Spindoktor Tal Silberstein steht auch aus einem anderen Grund im Zwielicht. Wegen Verdachts auf Geldwäsche, Veruntreuung sowie Behinderung der Justiz ist er im August in Israel vorübergehend verhaftet worden. Daraufhin wurde er von der SPÖ als Berater gefeuert. Schon diese Geschichte war für die SPÖ ein riesiger Imageschaden. Der 48-jährige Silberstein, der weltweit auch rechte Politiker berät, hatte seit 2001 mit erfolgreichen Kampagnen für Österreichs Sozialdemokraten gearbeitet. In der höchst brisanten Affäre um Fake-Facebook-Seiten ist unbestritten, dass die SPÖ für 536'000 Euro einen umfassenden Beratungsvertrag mit Silberstein geschlossen hatte.
Vorwurf eines Spitzelangebots aus der ÖVP
In der Silberstein-Affäre spielt auch ein Wiener PR-Berater eine zentrale Rolle. Peter Puller, so heisst der Mann im Dienste der SPÖ, hatte im Auftrag von Tal Silberstein die beiden Fake-Facebook-Seiten betrieben. Puller behauptet, dass die ÖVP versucht habe, ihn als Spitzel anzuwerben, um an Informationen aus dem Wahlkampfteam der Sozialdemokraten heranzukommen. «Ich bekam im Juli vom Büro von Sebastian Kurz 100'000 Euro angeboten, wenn ich die Seiten wechsle», sagte Puller in Medienberichten. Als Beweis veröffentlichte er eine SMS-Konversation mit dem Mediensprecher von Kurz, in der von einem «Honorar für PR» die Rede ist. Die ÖVP bestreitet derartige unmoralische Angebote. Puller ist allerdings bereit, «weitere Beweise» vorzulegen und eine eidesstattliche Erklärung abzugeben. Zudem fordert er einen Lügendetektortest für den Kurz-Mediensprecher. Puller ist eine schillernde Figur, der längere Zeit für die ÖVP tätig gewesen war, so etwa von 2011 bis 2013 als Sprecher und Berater der damaligen ÖVP-Justizministerin Beatrix Karl.

Dass ein enger Vertrauter von Kanzlerkandidat Kurz einem Silberstein-Kompagnon Geld für Spitzeldienste geboten haben soll, sei aufklärungsbedürftig, sagte SPÖ-Spitzenkandidat Christian Kern in einem Interview. «Ich fürchte, was wir über die Bespitzelung wissen, ist längst noch nicht die volle Wahrheit. Unsere Wahlkampagne wurde systematisch unterwandert», erklärte der 51-jährige Noch-Kanzler. Und weiter: «Da zeichnet sich der grösste politische Skandal der Zweiten Republik Österreichs ab.»
SPÖ-Insiderwissen an ÖVP und Medien
In SPÖ-Kreisen kursiert der Verdacht, dass Tal Silberstein nach seinem Rauswurf bei der SPÖ aus Rache den Konservativen zuarbeitet. Wie die «SonntagsZeitung» berichtete, soll eine Person aus dem Silberstein-Team Unterlagen und Mails kopiert und weitergegeben haben, vermutlich an die ÖVP. Seit Ende August wird das Material stückweise an die Medien weitergegeben. So veröffentlichte die Boulevardzeitung «Österreich» ein Dossier über SPÖ-Spitzenkandidat Christian Kern, das detaillierte Informationen über den sozialdemokratischen Wahlkampf enthält, die nur aus Insiderkreisen stammen können. Das Dossier ist zudem eine diffamierende Abrechnung mit dem Noch-Kanzler. «Er hat ein äusserst schwaches Nervenkostüm und ein Glaskinn», heisst es zum Beispiel. «Er ist eine Prinzessin und ungemein eitel.»
Gegenseitige Klagen von SPÖ und ÖVP
SPÖ und ÖVP bezichtigen sich gegenseitig dunkler Machenschaften. Beide Partner der bisherigen Grossen Koalition haben die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die SPÖ erstatte Anzeige gegen einen Vertrauten von Sebastian Kurz wegen des Versuchs der Bestechung und Spionage. Unmittelbar zuvor hatte die ÖVP ihrerseits angekündigt, eine Klage wegen Verhetzung gegen die Sozialdemokraten vorzubereiten. Grund seien die rassistischen und antisemitischen Inhalte der falschen Facebook-Seiten, die sich gegen Kurz gerichtet hatten. «Das Mass ist voll, wir klagen», sagte Elisabeth Köstinger, Generalsekretärin der ÖVP. Die SPÖ habe das politische Klima vergiftet.
Neonazi-Vergangenheit holt FPÖ-Chef Strache ein
Vom unwürdigen Gezänk zwischen Sozialdemokraten und Konservativen könnte bei den anstehenden Nationalratswahlen die rechtspopulistische FPÖ profitieren. Im Vergleich zu SPÖ und ÖVP machen die Freiheitlichen fast schon einen fairen Wahlkampf. Dabei sind sie als unzimperliche und aggressive Wahlkämpfer bekannt. Doch in der Schlussphase des Wahlkampfs wird die FPÖ erneut mit der Neonazi-Vergangenheit ihres Vorsitzenden Hans-Christian Strache konfrontiert.

Die «Süddeutsche Zeitung» (SZ) in München veröffentlichte eine dreiteilige Serie über den Spitzenkandidaten der Freiheitlichen. «Recherchen zeigen, wie tief Strache als junger Erwachsener wirklich drinsteckte in der Neonazi-Szene», schreibt die SZ. «Schilderungen von Augenzeugen, Erkenntnisse deutscher Sicherheitsbehörden und Archivmaterial belegen: Strache war über Jahre Bestandteil der Neonazi-Szene und begann parallel dazu seine Karriere in der FPÖ.» Zur Verteidigung von Strache heisst es in der Recherche: «Er verdammt den Nationalsozialismus und gleichzeitig Extremismus aller Art. Seine Jahre im Neonazi-Milieu damals: ein Lernprozess.»
Diffamierungen in den sozialen Medien
Im Zeitalter von Social Media sind Rassismus und Hetze an der Tagesordnung, ebenso Diffamierungen und Ausfälligkeiten. Bei Abstimmungen und Wahlkämpfen scheint das Niveau nach unten keine Grenzen zu kennen. Österreich macht keine Ausnahme. So wie die Facebook-Seite «Die Wahrheit über Sebastian Kurz» dem Kanzlerkandidaten der ÖVP zu schaden versuchte, ist auch Christian Kern Opfer von üblen Angriffen. So gibt es eine Facebook-Seite «Die Wahrheit über Christian Kern». Der Kanzler setzte sich in einem Facebook-Video gegen «Lügengeschichten» zur Wehr. Auch seine Ehefrau, Eveline Steinberger-Kern, trat via Facebook an die Öffentlichkeit. Dabei beklagte sie das «Bashing und die Verleumdungskampagnen gegen mich und meine Arbeit».
«Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass Politik und Medien, die hier mitmachen, so vernichtend sein können»: Kanzler-Gattin Eveline Steinberger-Kern wehrt sich gegen Diffamierungen. Video: Facebook
Rechtspopulisten vor Sprung in die Regierung
Dass Österreich seinen schmutzigsten Wahlkampf erlebt hat, liegt jedoch in erster Linie an den Grossparteien, respektive der Silberstein-Affäre, die schon einen grossen Schaden angerichtet hat. «Tal Silberstein hinterlässt eine breite Schneise der Verwüstung in Österreichs Innenpolitik», kommentiert «Der Standard». «Die Chefs von SPÖ und ÖVP, Christian Kern und Sebastian Kurz, werden massiv beschädigt, ihre Mitarbeiter und deren Handlanger stehen im Verdacht, Gauner zu sein.» Das Vertrauen in die Repräsentanten des Parteiensystems sei untergraben worden. Andere österreichische Kommentatoren sehen es ähnlich.
Die Turbulenzen zwischen SPÖ und ÖVP werden konkrete Folgen haben. Es scheint ausgeschlossen, dass sie nun wieder eine Grosse Koalition eingehen werden. Das ist die Chance für die FPÖ, nach vielen Jahren wieder an die Macht zu kommen. Gemäss Umfragen haben die Konservativen beste Chancen, bei der Parlamentswahl am kommenden Sonntag, 15. Oktober, stärkste Kraft zu werden und mit dem erst 31-jährigen Noch-Aussenminister Sebastian Kurz den künftigen Kanzler zu stellen. Die Freiheitlichen wären dann der Juniorpartner in der neuen Regierung Österreichs.
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