Nach den Unruhen in KasachstanDer russische Abzug kommt schneller als erwartet
Präsident Kassym-Schomart Tokajew erklärt die Unruhen für beendet, die mehr als 2000 zu Hilfe gerufenen Soldaten unter Führung Russlands sollen das Land in den nächsten Tagen wieder verlassen.

Nach der tagelangen Gewaltwelle in Kasachstan setzt Präsident Kassym-Schomart Tokajew alles daran, Stabilität und zurückgewonnene Kontrolle zu verkünden. Am Dienstag nominierte er mit Alichan Smailow einen neuen Regierungschef, nachdem er das bisherige Kabinett vor einer Woche entlassen hatte – Smailow war darin Vizepremier. Zudem erklärte der Staatschef, dass die mehr als 2000 herbeigerufenen ausländischen Soldaten das Land bereits von Donnerstag an verlassen würden. Der Abzug solle innerhalb von zehn Tagen beendet sein.
Damit würden also auch die russischen Soldaten schnell wieder abziehen. Tokajew hatte während der Unruhen das von Russland dominierte Militärbündnis OVKS um Unterstützung gebeten. Auch Soldaten aus Armenien, Weissrussland, Tadschikistan und Kirgisistan halfen dabei, Staatsgebäude in Kasachstan zu sichern.
Gemessen daran, dass Präsident Tokajew gerade erst die Unruhen als versuchten Staatsstreich bezeichnet hat, der aus dem Ausland gesteuert worden sei, beginnt der Abzug der ausländischen Soldaten überraschend schnell. Offiziell wurden bei den Unruhen mindestens 164 Menschen getötet und knapp 10’000 Personen festgenommen.
«Terroristen» aus Afghanistan und dem Nahen Osten
Russlands Präsident Wladimir Putin sagte bei einem Treffen des Militärbündnisses OVKS, dass dieses keine «farbigen Revolutionen» dulden werde. Er sprach von «äusseren Kräften», die sich in innere Angelegenheiten «unserer Staaten» einmischten. Er lag damit auf gleicher Linie wie Tokajew, der «Terroristen aus dem Ausland» für die Gewalt verantwortlich macht. Er nannte dabei die zentralasiatischen Nachbarstaaten, einschliesslich Afghanistan, sowie den Nahen Osten. Doch Belege, wer konkret dahinterstecken könnte, haben bisher weder Putin noch Tokajew präsentiert.
Ein Mann, der zunächst als «Terrorist» eingestuft wurde, ist der in Kirgisistan bekannte Jazzpianist Vikram Rusachunow. Er wurde im kasachischen Staatsfernsehen mit dem angeblichen Geständnis zitiert, dass er von Unbekannten angesprochen worden sei und umgerechnet etwa 200 Dollar dafür bekommen habe, bei Protesten in Kasachstan mitzumachen. Ein Auge war sichtlich geschwollen. Rusachunows Angehörige sagten laut einem Bericht von Radio Free Europe, dass der Musiker Mitte Dezember ein Ticket nach Almaty gekauft habe, um an einem Konzert teilzunehmen. Sogar der Chef der kirgisischen Sicherheitsbehörden, Kamtschybek Taschijew, schaltete sich ein: «Wir wissen genau, dass Vikram Rusachunow in keiner Weise ein Terrorist ist», sagte er. Der Pianist ist am Montag freigelassen worden und in seine Heimat zurückgekehrt.

Die Proteste in Kasachstan hatten Anfang Januar nach einer deutlichen Erhöhung der Gaspreise begonnen und richteten sich vor allem gegen die sozialen Ungleichheiten in dem autoritär regierten Staat. Von dem Energiereichtum Kasachstans profitieren nur wenige Familien, während ein grosser Teil der staatlichen Elite privilegiert lebt. Erst nach einigen Tagen schlugen die Demonstrationen plötzlich in schwere Gewalt um.
Was auch immer dran ist an den offiziellen Vorwürfen, Ausländer hätten die Unruhen entfacht: Russland verbucht den ersten Militäreinsatz der Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit als grossen Erfolg. Alle Mitgliedsstaaten schickten solidarisch Soldaten nach Kasachstan, sogar Armenien, das in einem besonderen Dilemma steckt. Dessen Regierungschef Nikol Paschinjan war einst selbst durch landesweite Massenproteste in einer Revolution an die Macht gekommen. Und als es vor einem Jahr einen Krieg mit Aserbeidschan um Bergkarabach gab, bat Paschinjan vergeblich das OVKS-Bündnis um militärische Hilfe. Nun beteiligte sich Armenien mit 100 Soldaten in Kasachstan, einem turksprachigen Land, von dem viele Armenier annehmen, dass es auch noch dem Erzfeind Türkei nahestehe.
Putin und Lukaschenko machten deutlich, dass Kasachstan nicht der letzte Einsatz des Militärbündnisses sei.
Der Menschenrechtsanwalt Artur Sakunts warf dem armenischen Premier vor, dieser habe allzu genau auf das Kommando des Kreml gehört. Paschinjan verteidigte den Einsatz gegen Kritik im eigenen Land. Zum einen hat Armenien gerade offiziell den Vorsitz des Militärbündnisses inne, zum anderen hatte im Krieg gegen Aserbeidschan auch er selbst davon gesprochen, dass ausländische Kämpfer aus dem Nahen Osten gegen Armenien eingesetzt würden.
Putin und der weissrussische Machthaber Alexander Lukaschenko machten jedenfalls deutlich, dass Kasachstan nicht der erste und letzte Einsatz des Militärbündnisses sei. Lukaschenko sagte sogar voraus, dass die nächsten Unruhen in Tadschikistan und Usbekistan entstehen würden. Usbekistan riet er deshalb dringend, dem Bündnis beizutreten. Doch das Land lehnt dies ab.
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